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Zum Schluss noch einmal ein Stück Sportpoesie - mit einem Hauch von Tragik...
(und ein paar boshaften Bemerkungen aus der Sicht von heute)


...Und dann kam der Endlauf. Jutta Heine hatte ihn erreicht. Das war ein unerwarteter, ein großartiger Erfolg. Aber die Götter des Olymp hatten ihr mehr vorbehalten. Es sollte ihr größter Tag werden. Nicht an Gold dachten sie, denn das Gold war vorher schon vergeben. Es war geweiht für die Göttin der Aschenbahn. Aber anderes war zu erringen, und nicht nur das Größte ist groß. * Hier zeigt sich schön die verklemmte Sexualität, die für die späten 50-er und ersten 60-er Jahre typisch ist: Der damals 18- Jährige hatte mit Frauen noch nichts am Hut - und eine zu vergötternde Frau war ungefährlich: Der hatte man sich nur bewundernd und mit gehörigem Abstand zu nähern.. .

* Junge Leute neigen wohl zu solchen Sentenzen.
Am Start stand ganz innen die lächelnde Amerikanerin und fixierte ihren Strohhut. Es war ihr ganz egal, daß sie die Innenbahn gelost hatte, die beim 200-m-Lauf ungünstig ist. Sie wußte um ihr Können, das größer war als der Zufall. Neben ihr die sehr nervöse Leone, von der die Italiener ihre dritte Sprintmedaille erwarteten. Sie sah ernst aus -  es war ihr vorletzter Lauf, nur noch die Staffel würde sie mitlaufen, dann wollte sie abtreten. Langsam blickt sie die Bahn entlang, die ihr auf einmal so lang vorkommt. Es ist ihre Laufbahn, weit und beschwerlich und nie mit dem ganz großen Erfolg gekrönt, obwohl sie immer eine der Größten war. * Na, bahnt sich da schon was Tragisches an? Alternder Star,
wie bei Herbert Eisenreich ("Der Weg hinaus"?)


* Dreimal "lang" in einem Satz, das ist stilistisch ja nun doch nicht so wahnsinnig gelungen...




* Jetzt haut er dem Leser aber die Symbolik nur so
um die Ohren!
Die Russin Itkina im roten Trikot neben ihr ist kalt und ruhig. Sie wirkt am verschlossensten, und ihre vielen 400-Meter-Läufe haben ihr etwas Hartes gegeben, etwas Männlich-Kämpferisches. * Dieses Klischee von der kalten männlichen kommunistischen Athletin konnte man einfach nicht auslassen - die lockere Amerikanerin gegen die gefühllose Sowjet-Athletin: das war doch Kalter Krieg in Reinkultur!
Konzentriert steht Jutta Heine am Start, die hier die Scharte von den Deutschen Meisterschaften auswetzen will, wo sie nur Zweite wurde. (...) *Die Deutsche ist natürlich nicht kalt, sondern "konzentriert" - das ist eine deutsche Tugend und hört sich ungemein positiv an.
Überraschend schwacher Start von Wilma Rudolph, während die Polin, begünstigt durch die Außenbahn-Vorgabe, ein scharfes Tempo anschlägt, das sie allerdings nicht halten kann. Nach achtzig Metern spielt Rudolph ihre überragende Klasse aus und geht an den anderen vorbei, als wären sie zweitklassig.
Was ist mit Jutta Heine? Sie ist entgegen ihrer Gewohnheit die ersten hundert Meter verhältnismäßig schnell angegangen, aber als das Feld in die Zielkurve geht, sehen wir deutlich, daß die blonde Hannoveranerin abgeschlagen an fünfter Stelle liegt.

Eine Enttäuschung? Haben wir denn mehr erwartet? Nein, wir haben es nicht, aber Jutta wirft alle Prognosen über den Haufen, als sie auf der Zielgeraden anzieht. Ist das denn möglich? Nachdem sie so schwer aus der Kurve gekommen ist, rast sie jetzt los, und die anderen scheinen stehenzubleiben.
Sie ist an dritter Stelle, greift jetzt Hyman an und geht spielend an ihr vorbei. Die deutschen Zuschauer springen von den Sitzen, eine Sensation bahnt sich an: Jutta Heine greift Wilma Rudolph an, sie hat noch unglaublich viel Kraft. Alles an ihrem Lauf ist ausgewogen, ist Harmonie. Und die große Favoritin? Was macht sie? Zum erstenmal bei diesen olympischen Spielen muß Wilma Rudolph kämpfen, gehetzt, getrieben von der entfesselten Deutschen. Und sie kämpft, die schlanke Gazelle, sie fliegt über die Aschenbahn, und unsere winzige Hoffnung auf die ganz große Sensation verfliegt mit dem Lauf der Amerikanerin. Sie ist zu groß für alle, sie ist einmalig...(...)

 

So gestaltet man eine klassische Tragödie: Moment der letzten Spannung, Peripetie - und dann wird's doch keine Tragödie, sondern der Beinahe-Triumph der blonden Heldin... Damals war "blond" noch kein Schimpfwort.


Wenn ich heute die Aufnahmen sehe, wird mir deutlich, wie gefärbt meine Sicht damals war: Jutta Heine war im Gegensatz zu Wilma eine Kraftläuferin, sie stampfte über die Bahn, das war imponierend, das war aber auch sehr deutsch...

 
 

Während die Fotografen immer wieder das reizende Motiv, die wunderbar gewachsenen Siegerinnen auf die Platte bannen, rechts die schwarze Wilma, links die blonde Jutta, geht eine Frau langsam und traurig aus dem Stadion. Es ist zu Ende für Giuseppina Leone. Noch einmal umfängt sie das Stadion mit ihren Blicken, sie wandern hinauf zu den Rängen, wo die Fahnen wehen, und gehen wieder zurück zur Aschenbahn, der sie jetzt Lebewohl sagen muß. Schwer ist ein solcher Abschied, schwer vor allem in der Stunde der Enttäuschung, schwer für die, die den Jüngeren den Vortritt lassen mußte...





* Die Anapher als Stilmittel ist einfach unverwüstlich, wenn ein bisschen Gefühl mitschwingen soll...


Wilma Rudolph war kein Komet, der aufleuchtet und schnell wieder verglüht. Sie lernte Präsident John F. Kennedy und Vize- Präsident Lyndon B. Johnson kennen, bekam  1961 den Sullivan Award  als beste-r(?) amerikanische-r(?) Sportler..(?), wurde ebenfalls (natürlich) Sportlerin des Jahres. Ihr Studium schloss sie am 27.5.1963 ab, wurde Lehrerin an der Schule, die sie als
Kind besucht hatte, und Leichtathletik-Trainerin an ihrer alma mater Burt High School. 1967 lud Vize-Präsident Hubert Humphrey
 sie ein, an der Operation Champion mitzuarbeiten, einem Trainings-Programm für benachteiligte Jugendliche. In Indianapolis gründete sie die Wilma Rudolph-Stiftung. 

1977 schrieb sie ihre Autobiographie "Wilma", die auch verfilmt wurde; Wilma arbeitete als Beraterin mit.
1983 wurde sie in die Ruhmeshalle der Tennessee State University aufgenommen.

Wilma Rudolph starb am 12. November 1994 im Alter von  54 Jahren an einem Gehirntumor. Leroy Walker, der Präsident des amerikanischen Olympischen Komitees, fasste die Gefühle seiner Landsleute - und nicht nur dieser! - in wenigen Worten zusammen:

“All of us recognize that this is obviously a tremendous loss. Wilma was still very much involved with a number of Olympic programs. It’s a tragic loss. She was struck with an illness that, unfortunately, we can't do very much about." 

 
1993 verlieh ihr Präsident Clinton den Orden "National Sports". Sie ist die einzige Frau, die jemals diesen Orden bekommen hat. 1994 wurde sie in die  National Women’s Hall of Fame aufgenommen, 1995 eröffnete die Tennessee State University zu ihren Ehren das Wilma Rudolph Residence Center. 1997 proklamierte Gouverneur Don Sandquist den 23. Juni zum Wilma-Rudolph-Tag in Tennessee. 

Wilma Rudolph ist mehr als eine Sportlerin gewesen, mehr als eine Olympiasiegerin: Sie ist ein Beispiel dafür, was ein Mensch aus den kleinsten Anfängen mit Talent, Willen, Beharrlichkeit und Mut erreichen kann. Bei ihrer Geburt sprach alles gegen sie - bei ihrem Tod hatte alles für sie gesprochen.

Wilma Rudolph ist auch, und das muss man hier ganz positiv sehen, ein Beispiel für den American Dream.