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Ich über mich | Olympia 1972 |
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...Und dann kam der Endlauf. Jutta Heine hatte ihn erreicht. Das war ein unerwarteter, ein großartiger Erfolg. Aber die Götter des Olymp hatten ihr mehr vorbehalten. Es sollte ihr größter Tag werden. Nicht an Gold dachten sie, denn das Gold war vorher schon vergeben. Es war geweiht für die Göttin der Aschenbahn. Aber anderes war zu erringen, und nicht nur das Größte ist groß. | * Hier
zeigt sich schön die verklemmte Sexualität, die für die
späten 50-er und ersten 60-er Jahre typisch ist: Der damals 18-
Jährige
hatte mit Frauen noch nichts am Hut - und eine zu vergötternde
Frau
war ungefährlich: Der hatte man sich nur bewundernd und mit
gehörigem
Abstand zu nähern..
. * Junge Leute neigen wohl zu solchen Sentenzen. |
Am Start stand ganz innen die lächelnde Amerikanerin und fixierte ihren Strohhut. Es war ihr ganz egal, daß sie die Innenbahn gelost hatte, die beim 200-m-Lauf ungünstig ist. Sie wußte um ihr Können, das größer war als der Zufall. Neben ihr die sehr nervöse Leone, von der die Italiener ihre dritte Sprintmedaille erwarteten. Sie sah ernst aus - es war ihr vorletzter Lauf, nur noch die Staffel würde sie mitlaufen, dann wollte sie abtreten. Langsam blickt sie die Bahn entlang, die ihr auf einmal so lang vorkommt. Es ist ihre Laufbahn, weit und beschwerlich und nie mit dem ganz großen Erfolg gekrönt, obwohl sie immer eine der Größten war. | * Na, bahnt sich da
schon was
Tragisches an?
Alternder Star, wie bei Herbert Eisenreich ("Der Weg hinaus"?) * Dreimal "lang" in einem Satz, das ist stilistisch ja nun doch nicht so wahnsinnig gelungen... * Jetzt haut er dem Leser aber die Symbolik nur so um die Ohren! |
Die Russin Itkina im roten Trikot neben ihr ist kalt und ruhig. Sie wirkt am verschlossensten, und ihre vielen 400-Meter-Läufe haben ihr etwas Hartes gegeben, etwas Männlich-Kämpferisches. | * Dieses Klischee von der kalten männlichen kommunistischen Athletin konnte man einfach nicht auslassen - die lockere Amerikanerin gegen die gefühllose Sowjet-Athletin: das war doch Kalter Krieg in Reinkultur! |
Konzentriert steht Jutta Heine am Start, die hier die Scharte von den Deutschen Meisterschaften auswetzen will, wo sie nur Zweite wurde. (...) | *Die Deutsche ist natürlich nicht kalt, sondern "konzentriert" - das ist eine deutsche Tugend und hört sich ungemein positiv an. |
Überraschend
schwacher
Start von Wilma Rudolph, während die Polin, begünstigt durch
die Außenbahn-Vorgabe, ein scharfes Tempo anschlägt, das sie
allerdings nicht halten kann. Nach achtzig Metern spielt Rudolph ihre
überragende
Klasse aus und geht an den anderen vorbei, als wären sie
zweitklassig. Was ist mit Jutta Heine? Sie ist entgegen ihrer Gewohnheit die ersten hundert Meter verhältnismäßig schnell angegangen, aber als das Feld in die Zielkurve geht, sehen wir deutlich, daß die blonde Hannoveranerin abgeschlagen an fünfter Stelle liegt. |
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Eine
Enttäuschung?
Haben wir denn mehr erwartet? Nein, wir haben es nicht, aber Jutta
wirft
alle Prognosen über den Haufen, als sie auf der Zielgeraden
anzieht.
Ist das denn möglich? Nachdem sie so schwer aus der Kurve gekommen
ist, rast sie jetzt los, und die anderen scheinen stehenzubleiben.
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So
gestaltet man eine klassische
Tragödie: Moment der letzten Spannung, Peripetie - und dann wird's
doch keine Tragödie, sondern der Beinahe-Triumph der blonden
Heldin...
Damals war "blond" noch kein Schimpfwort.
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Während die Fotografen immer wieder das reizende Motiv, die wunderbar gewachsenen Siegerinnen auf die Platte bannen, rechts die schwarze Wilma, links die blonde Jutta, geht eine Frau langsam und traurig aus dem Stadion. Es ist zu Ende für Giuseppina Leone. Noch einmal umfängt sie das Stadion mit ihren Blicken, sie wandern hinauf zu den Rängen, wo die Fahnen wehen, und gehen wieder zurück zur Aschenbahn, der sie jetzt Lebewohl sagen muß. Schwer ist ein solcher Abschied, schwer vor allem in der Stunde der Enttäuschung, schwer für die, die den Jüngeren den Vortritt lassen mußte... | * Die Anapher als Stilmittel ist einfach unverwüstlich, wenn ein bisschen Gefühl mitschwingen soll... |
Wilma Rudolph war kein Komet, der
aufleuchtet und schnell wieder verglüht.
Sie lernte Präsident John F. Kennedy und Vize- Präsident
Lyndon
B. Johnson kennen, bekam 1961 den Sullivan Award als
beste-r(?)
amerikanische-r(?) Sportler..(?), wurde ebenfalls (natürlich)
Sportlerin
des Jahres. Ihr Studium schloss sie am 27.5.1963 ab, wurde Lehrerin an
der Schule, die sie als Kind besucht hatte, und Leichtathletik-Trainerin an ihrer alma mater Burt High School. 1967 lud Vize-Präsident Hubert Humphrey sie ein, an der Operation Champion mitzuarbeiten, einem Trainings-Programm für benachteiligte Jugendliche. In Indianapolis gründete sie die Wilma Rudolph-Stiftung. 1977 schrieb sie ihre Autobiographie "Wilma", die auch
verfilmt wurde;
Wilma arbeitete als Beraterin mit. Wilma Rudolph starb am 12. November 1994 im Alter
von 54 Jahren
an einem Gehirntumor. Leroy Walker, der Präsident des
amerikanischen
Olympischen Komitees, fasste die Gefühle seiner Landsleute - und
nicht
nur dieser! - in wenigen Worten zusammen: |
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1993 verlieh ihr Präsident Clinton
den Orden "National Sports". Sie ist die einzige Frau, die jemals
diesen
Orden bekommen hat. 1994 wurde sie in die National Women’s Hall
of
Fame aufgenommen, 1995 eröffnete die Tennessee State University zu
ihren Ehren das Wilma Rudolph Residence Center. 1997 proklamierte
Gouverneur
Don Sandquist den 23. Juni zum Wilma-Rudolph-Tag in Tennessee.
Wilma Rudolph ist mehr als eine Sportlerin gewesen, mehr als eine Olympiasiegerin: Sie ist ein Beispiel dafür, was ein Mensch aus den kleinsten Anfängen mit Talent, Willen, Beharrlichkeit und Mut erreichen kann. Bei ihrer Geburt sprach alles gegen sie - bei ihrem Tod hatte alles für sie gesprochen. Wilma Rudolph ist auch, und das muss man hier ganz positiv sehen, ein Beispiel für den American Dream. |
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