4.30
Putzfrauen
und ein Beamter der
Bundespost
beobachten, wie fünf Männer
in Trainingsanzügen über den Zaun am olympischen Dorf
klettern. Sie haben
Sporttaschen bei sich. Die Augenzeugen schöpfen keinen
Verdacht, weil sie
glauben, es handle sich um Sportler, die zu spät nach Hause
kommen.
4.55 Uhr
Die fünf Eindringlinge besetzen
das Quartier der israelischen
Mannschaft in der Conolly-Straße. Aus den Sport- taschen
packen sie
Maschinenpistolen.
5.00 Uhr
Im
israelischen Quartier fallen
Schüsse. Der Trainer der Gewichtheber,
Mosche Weinberg, und sein Schütz- ling, der 32jährige
Mittelgewichtler Josef Romano,
werden von den Terroristen getötet. Neun Israelis werden
als Geiseln
festgehalten.
5.20 Uhr
Die Polizei wird alarmiert und
rückt sofort im olympischen Dorf an. 300
Mann besetzen die Zugänge und riegeln den Block der Israelis,
in dem sich auch
Sportler aus Hongkong und Uruguay befinden, hermetisch ab.
6.00 Uhr
Münchens Polizeipräsident Dr.
Manfred Schreiber, Sicherheitsbeauftragter
für die Olympischen Spiele, hat die Leitung des
Polizeieinsatzes übernommen.
Kurz darauf erscheinen auch OK-Präsident Willi Daume und
Dorfbürgermeister
Walther Tröger.
7.00 Uhr
Zum ersten Mal zeigt sich ein Terrorist am
Fenster: Er hat das Gesicht
geschwärzt, trägt einen roten Pullover und beige Hose.
8.00Uhr
Die Attentäter geben sich als palästinensische Guerillas zu
erkennen.
Sie verlangen bis 12 Uhr die Zusage, daß 250 Palästinenser,
die
in israelischen Gefängnissen sitzen, freigelassen werden. Eine
Verkehrsmaschine soll für sie und die Geiseln bereitgestellt
werden.
8.45 Uhr
Ein Mitglied der israelischen
Mannschaft
sagt am Telefon: „Mein Kamerad und ich
werden seit heute morgen gefangengehalten, als wir das Zimmer
verlassen wollten.
Der Ordnungsdienst hat uns angewiesen, im
Zimmer zu bleiben. Draußen sei es gefährlich.“
9.00 Uhr
Das Polizeiaufgebot ist auf mehrere tausend
Mann erhöht worden. Die
Menschentraube am Eingang des olympischen Dorfes wächst.
Die
Verantwortlichen stellen sich der Presse: V.l. Bundesinnenminis-
ter H.-D.
Genscher, Bayerns Innenminister Merk, Münchens Polizei-
präsident Schreiber
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9.35 Uhr
Die
Terroristen werfen eine Liste mit den
Namen ihrer Landsleute aus
dem Fenster, deren Freilassung sie fordern. Sie drohen, andernfalls die
Geiseln
zu erschießen.
10.15 Uhr
Mark Spitz, siebenfacher
Goldmedaillengewinner, weigert sich, das
ZDF-Studio auf dem Olympiagelände ohne Schutz zu
verlassen. Er wartet 20 Minuten, bis eine schwerbewaffnete MP-Streife
ihn abholt. „Ich
habe Angst“, sagt er. Mark Spitz ist Jude.
10.30 Uhr
Starke Polizeikräfte sperren das
Flugfeld in Riem ab. Eine Maschine für
die Terroristen ist jedoch noch nicht bereit- gestellt.
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10.35 Uhr
Zwei Notarztwagen verlassen mit Blaulicht das
olympische Dorf beim Ausgang Lerchenfeldstraße. Im
Vorbeifahren ist eine Blutplasma-Flasche zu erkennen, die von einem
Mann im weißen Kittel hochgehalten wird.
11.00 Uhr
Der Marienplatz ist wie immer um
diese Zeit schwarz vor Menschen. Aber nur wenige beachten das
Glockenspiel.
Diskussionsgruppen haben sich gebildet. Überall
Empörung über die gewaltsame Störung der Spiele.
11.15 Uhr
Pressekonferenz
mit Polizeipräsident
Schreiber. Schweißtropfen
auf der Stirn, rekapituliert er die
Ereignisse. Noch bevor
seine letzten Sätze übersetzt sind, ist er wieder
verschwunden zu neuen
Verhandlungen. Das Ultimatum wird bis 13 Uhr verlängert. Einer
spontanen Demonstrationin Richtung Olympiagelände schließen
sich Tausende von Menschen an.
12.00
Uhr
Vom Büro des
Olympia-Pressechefs aus telefoniert die Mutter des erschossenen Trainers Mosche Weinberg mit
Willi Daume. Dann wird die gebrochene Frau
durch den Hinterausgang
hinausgeführt.
Sie fährt in die Klinik, in der ihr toter Sohn liegt.
12.45 Uhr
Innenminister
Hans-Dietrich Genscher und Polizeipräsident Schreiber gehen durch die
Connolly-Straße. Sie blicken nach oben zu den Balkonen
des Hauses Nr. 7, wo immer wieder Athleten auftauchen und
etwas herunterschreien.
Bundesinnenminister
Genscher verhandelt mit einem der Terroristen. Später bot er sich
selbst als Geisel an.
13.00 Uhr
Das zweite Ultimatum läuft ab. Auf der Regattastrecke
starten zur selben Zeit die Vierer im
Kajak, in der Ringerhalle begrüßen sich die Athleten Hisirl
und Brötzke. Noch
nie war das Interesse der Sportfans so gespalten. Das
Ultimatum wird erneut, bis
17 Uhr, verlängert.
13.10 Uhr
Zwei gepanzerte Wagen der Polizei
verlassen mit großer Eskorte das Dorf. „Die Araber“,
so
ein Sprecher der Polizei, „haben mit der Erschießung von Geiseln
gedroht, wenn
wir die Wagen nicht abziehen.“ Dennoch kommt das Gerücht auf, eine
erste Gruppe
von Terroristen und Geiseln sei in den Panzerwagen abtransportiert
worden.
In den kugelsicheren Fahrzeugen befanden sich
koreanische Volleyballspieler, die so zu ihrem nächsten Wettkampf
gefahren
wurden.
13.30 Uhr
Drei Männer in bunten Hemden tauchen auf
dem Dach auf,
von wo aus die Rückseite des
israelischen
Quartiers eingesehen werden kann. Sie deponieren automatische Waffen
hinter
einem Mauervorsprung und verschwinden wieder.
14.00 Uhr
An der Westseite des olympischen Dorfes nimmt
der Andrang noch zu. Hunderte von Menschen lagern im Gras. In einem
kleinen
See, höchstens 500 Meter entfernt, baden Sportler. Einige sonnen
sich. Die Polizei drängt die Schaulustigen am
Westtor zurück: „Gleich kann hier geschossen werden.“ -
Demonstranten tragen
eilig gemalte Schilder: „Stop the Garnes!“ —„Brecht die Spiele ab!“
14.25 Uhr
Bundeskanzler Willy Brandt trifft auf dem Flughafen München-Riem
ein und
fliegt sofort mit
dem Hubschrauber weiter zum olympischen Dorf.
15.12 Uhr
Im
ZDF-Studio wird ein kleiner Zettel abgegeben. Mit rotem
Kugelschreiber droht
der anonyme Absender: „Wenn Sie nicht sofort Ihre Sendung
einstellen und uns
weiter beleidigen, werden wir Sie um 17 Uhr in die Luft sprengen.“
Ergebnis einer Blitzkonferenz der ZDF-Spitze: „Wir senden weiter!"
15.21 Uhr
Ein
Hubschrauber landet auf der Wiese hinter dem israelischen Quartier.
15.23 Uhr
Die drei Scharfschützen tauchen wieder
auf,
inspizieren die zurückgelassenen Waffen und blicken vorsichtig
hinunter auf die
Rückseite des Hauses 7. Dort ist alles ruhig, alle Vorhänge
sind zugezogen.
15.35 Uhr
IOC,
Organisationskomitee und Athleten kommen
überein, die
Nachmittagsveranstaltungen am Dienstag abzusagen. Die Olympischen
Spiele in
München sind unterbrochen. Für Mittwoch um 10 Uhr ist im
Stadion eine Trauerfeier
angesetzt.
15.44 Uhr
Die Polizei kennt jetzt den Chef der
Terrorgruppe: Ein
arabischer Diplom-Ingenieur, Student in Deutschland, seit
Beginn der Spiele in der Kantine des olympischen Dorfes tätig, hat
den Anschlag geplant.
Zusammen mit seinem Bruder ließ er die Guerilla-Gruppe ins Dorf.
16.30 Uhr
Noch wird um
olympische Medaillen und
Plätze gespielt. Die laufenden
Veranstaltungen, so das OK, werden zu
Ende geführt. Dann tritt die von allen Beteiligten
beschlossene Pause ein. Olympia-Pressesprecher
Hans Klein erklärt: „Es wird sich erweisen, daß die
olympische Idee stärker
ist als Terror und Gewalt.“
16.43 Uhr
Noch 17 Minuten bis zum Ablauf des letzten
Ultimatums. Alles scheint
auf ein dramatische Zuspitzung hinzulaufen.
20.23 Uhr
Auf dem Balkon des zweiten Stocks zeigt sich
ein Terrorist mit weißer
Maske. Scharfschützen, die inzwischen wieder Stellung
bezogen haben, haben
ihn in ihrem Visier. Manchmal glänzt zwischen den
Blumenkästen im geräumten
Haus gegenüber (die DDR-Mannschaft wohnte hier) der Lauf einer
Waffe.
20.50 Uhr
Ein Hubschrauber
fliegt im Tiefflug eine
Schleife über das Dorf. Er landet
gut 200 Meter hinter dem Haus.
22.07 Uhr
Aus dem hermetisch abgeriegelten Dorf
fährt ein Bus. Er wird von einem
Polizeifahrzeug begleitet. In dem Bus befinden sich Terroristen und
Geiseln.
22.12 Uhr
Auf dem
Oberwiesenfeld stehen drei
abgedunkelte Hubschrauber. Der Bus
kommt an.
22.20
Die Terroristen besteigen mit ihren
Geiseln den Hubschrauber.
Nacheinander heben sie ab mit Ziel Fliegerhorst
Fürstenfeldbruck, wo sie an
Bord einer bereitgestellten Lufthansa-Boing gehen wollen. Tunesien
hatte sich
zuvor anerboten, Terroristen und Geiseln aufzunehmen.
22.23 Uhr
Der dritte
Hubschrauber startet mit
Angehörigen des deutschen Krisenstabs.
22.30 Uhr
Die beiden Hubschrauber landen kurz hintereinander auf dem
Fliegerhorst.
Die dramatischen Ereignisse, in deren Verlauf
14 Menschen ihr Leben lassen müssen, nehmen ihren Lauf.
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