Olympische Spiele München 1972



© Abendzeitung München

4.30
Putzfrauen und ein Beamter der Bundespost beobachten, wie fünf Männer in Trainingsanzügen über den Zaun am olympischen Dorf klettern. Sie haben Sporttaschen bei sich. Die Augenzeugen schöpfen keinen Verdacht, weil sie glauben, es handle sich um Sportler, die zu spät nach Hause kommen.

4.55 Uhr
Die fünf Eindringlinge besetzen das Quartier der israelischen Mannschaft in der Conolly-Straße. Aus den Sport- taschen packen sie Maschinenpistolen.

5.00 Uhr
Im israelischen Quartier fallen Schüsse. Der Trainer der Gewichtheber, Mosche Weinberg, und sein Schütz- ling, der 32jährige Mittelgewichtler Josef Romano, werden von den Terroristen getötet. Neun Israelis werden als Geiseln festgehalten.

5.20 Uhr
Die Polizei wird alarmiert und rückt sofort im olympischen Dorf an. 300 Mann besetzen die Zu­gänge und riegeln den Block der Israelis, in dem sich auch Sport­ler aus Hongkong und Uruguay befinden, hermetisch ab.

6.00 Uhr
Münchens Polizeipräsident Dr. Manfred Schreiber, Sicherheitsbeauftragter für die Olympischen Spiele, hat die Leitung des Polizeieinsatzes übernommen. Kurz darauf erscheinen auch OK-Präsident Willi Daume und Dorfbürgermeister Walther Tröger.

7.00 Uhr
Zum ersten Mal zeigt sich ein Terrorist am Fenster: Er hat das Gesicht geschwärzt, trägt einen roten Pullover und beige Hose.

8.00Uhr
Die Attentäter geben sich als palästinensische Guerillas zu erkennen. Sie verlangen bis 12 Uhr die Zusage, daß 250 Palästinenser, die in israelischen Gefängnissen sitzen, freigelassen werden. Eine Verkehrsmaschine soll für sie und die Geiseln bereitgestellt werden.

8.45 Uhr
Ein Mitglied der israelischen Mannschaft sagt am Telefon: „Mein Kamerad und ich werden seit heute morgen gefangengehalten, als wir das Zimmer verlassen wollten. Der Ordnungsdienst hat uns angewiesen, im Zimmer zu bleiben. Draußen sei es gefährlich.“

9.00 Uhr

Das Polizeiaufgebot ist auf mehrere tausend Mann erhöht worden. Die Menschentraube am Eingang des olympischen Dor­fes wächst.

Politiker hören die Schreckensnachricht
Die Verantwortlichen stellen sich der Presse: V.l. Bundesinnenminis-
ter H.-D. Genscher,  Bayerns Innenminister Merk, Münchens Polizei- präsident Schreiber

9.35 Uhr

Die Terroristen werfen eine Liste mit den Namen ihrer Landsleute aus dem Fenster, deren Freilassung sie fordern. Sie drohen, andernfalls die Geiseln zu erschießen.

10.15 Uhr
Mark Spitz, siebenfacher Goldmedaillengewinner, weigert sich, das ZDF-Studio auf dem Olympiagelände ohne Schutz zu verlassen. Er wartet 20 Minuten, bis eine schwerbewaffnete MP-Streife ihn abholt. „Ich habe Angst“, sagt er. Mark Spitz ist Jude.

10.30 Uhr

Starke Polizeikräfte sperren das Flugfeld in Riem ab. Eine Maschine für die Terroristen ist jedoch noch nicht bereit- gestellt.

10.35 Uhr
Zwei Notarztwagen verlassen mit Blaulicht das olympische Dorf beim Ausgang Lerchen­feldstraß
e. Im Vorbeifahren ist eine Blutplasma-Flasche zu erkennen, die von einem Mann im weißen Kittel hochgehalten wird.

11.00 Uhr
Der Marienplatz ist wie immer um diese Zeit schwarz vor Menschen. Aber nur wenige beachten das Glockenspiel. Diskussionsgruppen haben sich gebildet. Überall Empörung über die gewaltsame Störung der Spiele.

11.15 Uhr
Pressekonferenz mit Polizeipräsident Schreiber. Schweißtropfen auf der Stirn, rekapituliert er die Ereignisse. Noch bevor seine letzten Sätze übersetzt sind, ist er wieder verschwunden zu neuen Verhandlungen. Das Ultimatum wird bis 13 Uhr verlängert. Einer spontanen Demonstrationin Richtung Olympiagelände schließen sich Tausende von Menschen an.

12.00 Uhr                                             

Vom Büro des Olympia-Pressechefs aus telefoniert die Mutter des erschossenen Trainers Mosche Weinberg mit Willi Daume. Dann wird die gebrochene  Frau durch den Hinterausgang hinausgeführt. Sie fährt in die Klinik, in der ihr toter Sohn liegt.

12.45 Uhr                                               
Innenminister Hans-Dietrich Genscher und Polizeipräsident Schreiber gehen durch die Connolly-Straße. Sie blicken nach oben zu den Balkonen des Hauses Nr. 7, wo immer wieder Athleten auftauchen und etwas herunterschreien.


Bundesinnenminister Genscher verhandelt mit einem der Terroristen. Später bot er sich selbst als Geisel an.

13.00 Uhr                                             
Das zweite Ultimatum läuft ab. Auf der Regattastrecke starten zur selben Zeit die Vierer im Kajak, in der Ringerhalle begrüßen sich die Athleten Hisirl und Brötzke. Noch nie war das Interesse der Sportfans so gespalten. Das Ultimatum wird erneut,
bis 17 Uhr, verlängert.

 13.10 Uhr

Zwei gepanzerte Wagen der Polizei verlassen mit großer Es­korte das Dorf. „Die Araber“, so ein Sprecher der Polizei, „haben mit der Erschießung von Geiseln gedroht, wenn wir die Wagen nicht abziehen.“ Dennoch kommt das Gerücht auf, eine erste Gruppe von Terroristen und Geiseln sei in den Panzerwagen abtransportiert worden.
In den kugelsicheren Fahrzeu­gen befanden sich koreanische Volleyballspieler, die so zu ihrem nächsten Wettkampf gefahren wurden.

13.30 Uhr

Drei Männer in bunten Hemden tauchen auf dem Dach auf, von wo aus die Rückseite des israeli­schen Quartiers eingesehen werden kann. Sie deponieren automatische Waffen hinter einem Mauervorsprung und verschwinden wieder.

14.00 Uhr
An der Westseite des olympischen Dorfes nimmt der Andrang noch zu. Hunderte von Menschen lagern im Gras. In einem kleinen See, höchstens 500 Meter entfernt, baden Sportler. Einige sonnen sich. Die Polizei drängt die Schaulustigen am Westtor zurück: „Gleich kann hier geschossen werden.“ - Demonstranten tragen eilig gemalte Schilder: „Stop the Garnes!“ —„Brecht die Spiele ab!“

14.25 Uhr
Bundeskanzler Willy Brandt trifft auf dem Flughafen München-Riem ein und fliegt sofort mit dem Hubschrauber weiter zum olympischen Dorf.

15.12 Uhr

Im ZDF-Studio wird ein kleiner Zettel abgegeben. Mit rotem Kugelschreiber droht der anonyme Absender: „Wenn Sie nicht sofort Ihre Sendung einstellen und uns weiter beleidigen, werden wir Sie um 17 Uhr in die Luft sprengen.“ Ergebnis einer Blitzkonferenz der ZDF-Spitze: „Wir senden weiter!"

15.21 Uhr
Ein Hubschrauber landet auf der Wiese hinter dem israelischen Quartier.

15.23 Uhr

Die drei Scharfschützen tauchen wieder auf, inspizieren die zurückgelassenen Waffen und blicken vorsichtig hinunter auf die Rückseite des Hauses 7. Dort ist alles ruhig, alle Vorhänge sind zugezogen.

15.35 Uhr
IOC, Organisationskomitee und Athleten kommen überein, die Nachmittagsveranstaltungen am Dienstag abzusagen. Die Olympischen Spiele in München sind unterbrochen. Für Mittwoch um 10 Uhr ist im Stadion eine Trauerfeier angesetzt.

15.44 Uhr
Die Polizei kennt jetzt den Chef der Terrorgruppe: Ein arabischer Diplom-Ingenieur, Student in Deutschland, seit Beginn der Spiele in der Kantine des olympischen Dorfes tätig, hat den Anschlag geplant. Zusammen mit seinem Bruder ließ er die Guerilla-Gruppe ins Dorf.

16.30 Uhr
Noch wird um olympische Me­daillen und Plätze gespielt. Die laufenden Veranstaltungen, so das OK, werden zu Ende geführt. Dann tritt die von allen Beteiligten beschlossene Pause ein. Olympia-Pressesprecher Hans Klein erklärt: „Es wird sich erweisen, daß die olympische Idee stärker ist als Terror und Gewalt.“

16.43 Uhr
Noch 17 Minuten bis zum Ablauf des letzten Ultimatums. Alles scheint auf ein dramatische Zuspitzung hinzulaufen.

20.23 Uhr
Auf dem Balkon des zweiten Stocks zeigt sich ein Terrorist mit weißer Maske. Scharfschützen, die inzwischen wieder Stellung bezogen haben, haben ihn in ihrem Visier. Manchmal glänzt zwischen den Blumenkästen im geräumten Haus gegenüber (die DDR-Mannschaft wohnte hier) der Lauf einer Waffe.

20.50 Uhr
Ein Hubschrauber fliegt im Tiefflug eine Schleife über das Dorf. Er landet gut 200 Meter hinter dem Haus.

22.07 Uhr
Aus dem hermetisch abgeriegelten Dorf fährt ein Bus. Er wird von einem Polizeifahrzeug begleitet. In dem Bus befinden sich Terroristen und Geiseln.

22.12 Uhr
Auf dem Oberwiesenfeld stehen drei abgedunkelte Hubschrauber. Der Bus kommt an.

22.20
Die Terroristen besteigen mit ihren Geiseln den Hubschrauber. Nacheinander heben sie ab mit Ziel Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, wo sie an Bord einer bereitgestellten Lufthansa-Boing gehen wollen. Tunesien hatte sich zuvor anerboten, Terroristen und Geiseln aufzunehmen.

22.23 Uhr
Der dritte Hubschrauber startet mit Angehörigen des deutschen Krisenstabs.

22.30 Uhr
Die beiden Hubschrauber landen kurz hintereinander auf dem Fliegerhorst. Die dramatischen Ereignisse, in deren Verlauf 14 Menschen ihr Leben lassen müssen, nehmen ihren Lauf.