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          Das Robin-Hood-Spiel
 

Für Kais seelische Hygiene ist die Fähigkeit, alles sofort im Spiel nachzuvollziehen, ganz unbezahlbar. Ängste spielt er weg, Freude, Spaß, Abenteuer wiederholt er für sich, erlebt sie noch einmal, kann doppelt genießen und die Weltgeschichte, wenn es denn sein muss, auch mal verändern.

Freilich, manchmal wird seine Spielleidenschaft für seine Mitwelt problematisch - wenn er nämlich wieder einmal ein Brettspiel erfunden hat. Er malt dann zunächst zahllose Kringel auf ein Stück Papier, und ein paar von denen werden eingefärbt - das sind dann Ereignisfelder, auf denen man zwei vor und drei zurück muss oder einmal aussetzen oder wieder von vorne anfangen. Das ist ja nun sattsam bekannt und übt einfach keinen Spielreiz aus — jedenfalls auf die Großen nicht, und so muss Kai immer wieder unverrichteter Dinge mit seinen Spielen abziehen, weil die den Großen zu langweilig sind. Die kommen sich zwar dann ganz miserabel vor, wenn er traurig an seinem Tisch vor seinem fertigen Spiel sitzt und klagt: “Keiner will mein Spiel mit mir spielen!“, aber nur die Mama opfert sich manchmal und würfelt ein bisschen mit Kai — allerdings nie sehr lange, weil sie aufatmend sehr bald feststellen kann, dass die Halmasteine für das aufgemalte Spielfeld viel zu groß sind und das Regelwerk des Spiels außerdem doch noch einiger wesentlicher Ergänzungen bedarf. Und eines weiß Kai ja auch: während des Spiels dürfen die Regeln nicht mehr geändert werden...

Noch problematischer wird es aber, wenn Kai Action-Spiele entwirft — so was wie Monopoly oder Sagaland, Spiele, in denen Karten gezogen werden müssen, die irgendwelche An-
weisungen oder Befehle enthalten. So etwas übt auf seine Kreativität magische Anziehungskraft aus. Neulich hat er im
Fernsehen (manchmal darf er fernsehen, überhaupt, wo alle
in der Klasse das sehen dürfen!!) Robin Hood erlebt, und mit Mama und Jens hat er auch schon  Monopoly gespielt  (Papa spielt nie mit, weil die Mama immer gewinnt, und das kann 
er gar nicht vertragen...)  - was liegt also näher, als beides mit-    einander zu verbinden?

Und also hat Kai sein Robin-Hood-Spiel erfunden — am 9. Januar des Jahres 1984, dem 40. Geburtstag seiner Tante Gundula und 52 Tage vor seinem siebten. Etwa vier Monate Schreibunterricht hat er in der Schule inzwischen hinter sich gebracht — ausreichend, um eine Reihe von grünen Ereigniskarten (die er dem Papa geklaut hat) zu beschreiben. Wie das Spiel eigentlich verlaufen soll, hat er nie erläutern können; dagegen verdienen es die Ereigniskarten, für die Nachwelt festgehalten zu werden. So viel immerhin ist klar: die Spieler bewegen sich auf einem Spielplan (den Kai vergessen hat anzufertigen), und auf bestimmten Feldern müssen sie eine Karte ziehen, auf der ihnen mitgeteilt wird, was sie soeben erlebt haben und was möglicherweise die schreckliche Folge aus diesem Erlebnis sein kann:

“Du bist won einen Rieter über Waln Worn - 1ooo“

(Mama hat das übersetzt: Du bist von einem Ritter überfallen worden. 1000 bedeutet wahrscheinlich, dass der Spieler nun einen Tausender abgeben muss - das kommt vom ,,Monopoly“. Ritterliches Verhalten ist das ja nun wohl nicht, aber wahrscheinlich ist es ein böser Ritter, einer von denen, die Robin Hood immer nachstellen und ihn hindern wollen gute Werke zu tun.)

“Die Ritter Haben Disch ens Chewenis Chewown“

Auch auf dieses Blatt hat Mama liebevoll die Übersetzung geschrieben: Die Ritter haben dich ins Gefängnis geworfen.

“Da Hst einen Chamv Chvonen. 101000."

(Du hast einen Kampf gewonnen, hat Mama entziffert: eine reife Leistung! Die Zahl dahinter ist wohl nicht die Telefonnummer des Siegers, sondern die Gewinnsumme, vermutlich in Gold-
stücken, orientiert an Tenniskämpfen, aber immerhin in einer eigenwilligen Höhe.) “Da Hsi
Mit Dim Ritern Wrointschhwt Cheschlosn.“

(Diesen Satz hat der Papa entschlüsselt, der
ganz stolz darauf ist: Du hast mit den Rittern 
Freundschaft geschlossen. — Hier hat sich anscheinend das Harmoniebedürfnis Kais letzten Endes doch durchgesetzt - auf die Dauer wird es eben auch dem bösesten Ritter langweilig, die anderen immer ins Gefängnis zu werfen.)

 “Da Christ 2oo“ — du bekommst 2oo. Hier hat Kai klugerweise offengelassen, was der Spieler bekommt: 2oo Goldstücke oder Halmasteine oder Chips oder Klapse auf den Po - dies muß wohl von Fall zu Fall entschieden werden, was man als eindeutige konzeptionelle Schwäche des Spiels anprangern muss; denn Regeln, wie gesagt, müssen eindeutig sein und vorher feststehen! - Dagegen ist die letzte erhaltene Ereigniskarte eindeutig: Schließlich handelt es sich dabei ganz einfach um ein unverschämtes Plagiat:“Do Chomst ins Chewenis“- du kommst ins Gefängnis! Das hat man im “Monopoly“ schon besser gelesen.

Wenn man die Karten in der Originalfassung laut liest, sollte man meinen, bei Kai zuhause werde tiefstes westfälisches Platt gesprochen, das jedes G durch ein Ch ersetzt - aber davon kann natürlich keine Rede sein - Kais individuelle Rechtschreibung ist keine Lautschrift, sondern scheint auf einem eklatanten Mangel an A‘s zu beruhen, der durch das Überangebot an CH‘s nur unzulänglich ausgeglichen wird. Aber was soll nach vier Monaten Schule schon Besseres herauskommen? Und außerdem: Rechtschreibung ist etwas für anlehnungsbedürftige Schwachköpfe - das Genie steht darüber und macht sich seine eigenen Gesetze.

Allerdings bin ich ein Ritter...
Kais Robin-Hood-Spiel ist leider nie gespielt worden - die Erwachsenen hängen doch wohl zu sehr an der Rechtschreibung und haben es außerdem bis heute nicht verwunden, dass Kai vergessen hat, den Spielplan zu entwerfen...

Westfälisches Platt übrigens, dabei bleibt‘s, wird bei Kai zuhause nicht gesprochen. Die Herchunft der vielen CH‘s wird ungechlärt bleiben.