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06.12.2005 / LOKALAUSGABE / DINSLAKEN

NACHRUF / Der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch hatte zeitlebens eine ganz besondere Beziehung zu der Stadt.

DINSLAKEN. Er begann als Moerser, wurde schließlich der Niederrheiner schlechthin. Und vielleicht war es Hanns Dieter Hüschs linksrheinische Herkunft, die Dinslaken auf der anderen Seite des großen Flusses für ihn zu einem geradezu transzendenten Ort machte.

Dinslaken, das war die Stadt, wo Hüsch den lieben Gott traf. Zum ersten Mal, als er nach einem Kabarettabend aus der Europa-Bar kam, die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges an der Theke überbrückt hatte. Da kam Gott auf einem Fahrrad daher. Mit Mütze und Tasche, ein Kumpel an der Peripherie des Ruhrgebiets. Der freundschaftliche Kontakt blieb bestehen.

Der politische Kabarettist aus dem Umfeld der 68er hatte sich längst zu einem stillen, nachdenklichen und tiefreligiösen Poeten gewandelt, Gott traf er nach wie vor in Dinslaken, weil dessen Schwester hier eine Wäscherei hatte. Man traf sich auf der Neustraße bei Eduscho zum Kaffee.

Letzter Auftritt am 1. Dezember 2000

Am 1. Dezember 2000 war Hanns Dieter Hüsch zum letzten Mal Gast in der Stadt. Er las und erzählte seine liebenswerten Geschichten vom Niederrhein in der zum Bersten gefüllten Kirche St. Vincentius. Gerne hat Pastor Kösters dem protestantischen "schwarzen Schaf" den Altarraum für die kleine Orgel zur Verfügung gestellt, die ihm Musikinstrument und Lesepult zugleich war.

Hüsch war ein geselliger Mensch, die Zeit vor dem Auftritt verbrachte er bei Tee und Schnittchen in der Sakristei und redete sich warm. Fragte nach, ob es Stehkaffee und gegenüberliegendes Lebensmittelgeschäft in der Fußgängerzone noch gab, notierte sich die Aktualisierung. Waren es eine oder zwei Stunden? Hüsch philosophierte, plauderte, Bücher signieren fiel ihm damals schon schwer.

Aber seine Altersweisheit teilte er gerne mit: "Wenn man sich selber beantworten möchte, wen man am meisten liebt, muss man sich fragen, wen man als erstes suchen wird, wenn man in den Himmel kommt. Oder für wen man sich bei Petrus auf die Stufen setzt, um auf diesen Menschen zu warten."

In einer seiner Erzählungen reiste er mit Gott von Dinslaken aus zu seiner verstorbenen Frau. Knapp drei Wochen nach dem unvergesslichen Abend in St. Vincentius beendete Hüsch in Moers seine Tourneetätigkeit, es folgten nur noch einige wenige Auftritte. Gestern starb Hanns Dieter Hüsch nach langer Krankheit im Alter von 80 Jahren.

BETTINA SCHACK
06.12.2005 / LOKALAUSGABE / MOERS

HÜSCH / Aus dem kleinbürgerlichen Moers in den Olymp der Kleinkunst. Humanität prägte sein Lebenswerk.

MOERS. Der "König der Kabarettisten" ist tot. NRW-Minister Gerd Vesper hatte Hanns Dieter Hüsch zuletzt in einer Laudatio zum 80. Geburtstag des Moerser Ehrenbürgers als solchen bezeichnet. "Weisse, wer gestorben is? Räts du nie!" So hatte Hüsch selbst in seinen Texten gewitzelt und damit tief in Kopf und Herz der Niederrheiner geblickt. Jetzt, nach einem Schlaganfall 2001, hat ihn der Tod vom Krankenbett erlöst, und man darf sicher sein, dass der Kabarettist, Liedermacher, Schauspieler, Schreiber, Synchronsprecher, Moderator, Poet und Prediger Hüsch nunmehr in bester Obhut ist: Schließlich hatte er nach eigenem Bekunden den lieben Gott persönlich getroffen, in Dinslaken, wo dessen Schwester wohnt, und er stand auf gutem Fuß mit dem Schöpfer.

Der Mann vom Niederrhein beschrieb sich selbst in seiner Predigt im Mainzer Dom als "dezidierten Christen". Aus dem Glauben schöpfe er seine Lebenskraft, die frohe Botschaft des Evangeliums enthalte seine ganze Philosophie. Dabei fühlt sich der Protestant auch den anderen Religionen verbunden, "wenn sie freundlich sind". Große Humanität prägten sein Lebenswerk ebenso wie ein überaus scharfer Blick für das allzu Menschliche.

"Schwarzes Schaf" - ein Ehrentitel

Während seine Heimatstadt und der umgebende Niederrhein ihm eine Quelle ständiger Inspiration waren, wandelte sich das Bild, das sich die immer etwas kleinbürgerlich gebliebenen Moerser von ihm machten, erst im Laufe der Zeit. Der "kritische Linke" der frühen Kabarettzeit war ihnen suspekt gewesen, bis er anderswo, vornehmlich in Mainz und Köln, seinen Weg in den Olymp der Kleinkunst fand.

Hüsch wandelte den Begriff des "Schwarzen Schafs vom Niederrhein" in einen Ehrentitel; so sehr, dass sich heute Kabarettisten darum streiten, ihn ebenfalls tragen zu dürfen. In den letzten Jahren häufte die Heimat alle erdenkliche Ehren auf den berühmten Sohn der Stadt. Und es tat ihm durchaus gut, die Erfahrung zu machen.

Hanns Dieter Hüsch wurde am 6. Mai 1925 in Moers geboren. Nach dem Abitur begann er auf Wunsch seiner Mutter ein Medizin-Studium in Gießen, das er jedoch nicht beendete. Statt dessen nahm er in Mainz ein Studium der Theaterwissenschaft und Literaturgeschichte auf, allerdings brach er auch dies ab. 1947 trat er dem Mainzer Studentenkabarett "Die Tol(l)eranten" bei. Das Kabarett wird sein Leben.

1956 gründete er in einem Mainzer Keller das Ensemble "arche nova", das ungemein erfolgreich war. Sechs Jahre später verließ Hüsch das Ensemble und arbeitete von da an hauptsächlich solo. 1968, "während der Studentenbewegung" brachte ihm das viel Kritik ein, und bei einigen Veranstaltungen wurde er schon nach wenigen Minuten ausgepfiffen. Er beschloss, vorübergehend in der Schweiz aufzutreten, machte Beiträge für das ZDF und synchronisierte Sendungen wie "Väter der Klamotte" oder "Dick und Doof".

"Anfangs war ich ein Liedermacher"

Hüsch sagte selbst über die Entwicklung seiner Arbeit: "Ganz früher - nicht in grauer Vorzeit - sondern als ich anfing, mich mit der Kleinkunst und dem Kabarett zu beschäftigen, nämlich in den Jahren 1946, -47 und -48, da war ich ja noch ein richtiger Liedermacher. Damals sagte man Chansonnier. Und dann erst fing ich an, neben den Liedern reine Texte zu schreiben, Gedichte und rhythmische Prosa, literarische Collagen, politische Satiren und Privatpoesien. Aber es entstanden auch immer wieder pure Geschichten, Kleinigkeiten, Allerweltsereignisse und Alltagserlebnisse, und dann die Geschichten, wo die Zuhörer immer zu mir kommen und sagen, sie müssen bei uns im Schrank gesessen haben. Und ich sage, das kann nicht sein, denn ich war an dem Tag ganz woanders. Menschengeschichten. Banalitäten. Nebensächliches. Unbedeutendes. Aber jeder fühlt sich angesprochen, sogar ertappt und lacht hoffentlich über sich selbst."

Ende der neunziger Jahre wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert, den er aber überwand. Nach über 50 Jahren auf der Bühne beendete Hanns Dieter Hüsch seine Kabarettkarriere 2000 in der Moerser Halle Adolfinum mit einem Abschiedsabend, bei dem Bundespräsident Johannes Rau bewegende Worte für seinen "Lieblingskabarettisten" fand.

Den Niederrhein schien Hüsch geradezu erst geschaffen zu haben - jedenfalls im Bewusstsein der übrigen Bundesbürger. Was hatte die bis dahin schon die Frage gestört, ob der Niederrheiner nichts weiß, aber alles erklären kann... (da)


W. hat jetzt zugegeben

06.12.2005 / NRZ LOKALAUSGABE / NIEDERRHEIN

VORBILDLICH / Dass er, Konstantin Wecker, viel bei HDH abgeguckt hat. Und dass mehr gehüscht werden sollte.

W. hat jetzt zugegeben, so Hagenbuch, dass er phasenweise, vornehmlich in seiner frühen Phase, hemmungslos und ohne Skrupel sich bei Hüsch bedient habe, ja sogar seine Gesten und seine Mimik akribisch studiert und in den eigenen Redefluss und Sprachduktus mit einbezogen habe, bis man ihm sogar öffentlich vorgehalten habe, er hüsche zu sehr. Worauf er geantwortet haben soll: Man könne nie zu sehr hüschen, es würde im Gegenteil viel zu wenig gehüscht und es müsse viel mehr gehüscht werden werden auf deutschen Bühnen, Bühnen, die eine schreckliche Leere befallen habe, seit er, Hüsch nämlich, nicht mehr so unterwegs sei,wie es so seine Art gewesen unterwegs zu sein, mit teilweise drei Auftritten pro Tag und insgeheim, so Hagenbuch, vermute W. bei ihm, Hüsch, das doch eher seltene und sonst höchstens bei Heiligen anzutreffende Phänomen der Bilokation, denn wie anders sei es sonst bitte möglich, an einem Tag beispielsweise in Saarbrücken und Zwiesel zu gastieren, in Berlin zu predigen und im WDR über Poesie zu sinnieren?

Aber bei ihm wundere ihn gar nichts mehr, er sei eben einmalig in jeder Beziehung, unerreichbar, und W., so Hagenbuch - der ihn auch sehr vermisse - sei unsagbar traurig, ihn nicht mehr live zu erleben, den väterlichen Freund, den Mentor und Ratgeber, mit dem es sich nächtens so gut habe plaudern lassen, der ihm oft ganz schön deutlich und doch so liebevoll ins Gewissen geredet habe, als er, W., sich zu entgleiten in Gefahr gewesen sei.

Und er denke voll Dankbarkeit an den ersten Gesellschaftsabend im SR, als ihn Hüsch in die Gesellschaft der Kleinkünstler und Gaukler einführte, der Wortverdreher und Musikakrobaten, und ihm sozusagen den Ritterschlag gab, mit den Großen der Zunft auftreten zu dürfen.

Ihm, W., so Hagenbuch, stehe er noch deutlich vor Augen, der kleine, fast unscheinbare Mann, der auf der Bühne plötzlich so groß werden konnte, so raumfüllend, so atemberaubend den Saal beherrschend, und er denke noch oft an den liebevollen Spötter und er fehle ihm gerade jetzt, in einer Zeit, die unzählige Witzbolde gebäre, aber keinen verrückten und seitlich umgeknickten Poeten wie Hüsch, dessen Menschlichkeit Berge versetzen könne.

Ja, und er träume ab und an davon, ihn noch einmal erleben zu dürfen, in einem kleinen Club am besten, wie jenem Atelier Jean in München, damals vor vierzig Leuten - aber das bleibe ja für immer aufgezeichnet in seinem Herzen, das könne ihm keiner mehr nehmen, das gehöre zum Kostbarsten, was er, W., besitze, so Hagenbuch, und dem stimme W. unbedingt zu, auch wenn er, Hagenbuch, damals noch gar nicht aus Hüschens Feder entsprungen sei.

(aus: "Untersteht euch - es wird nix gemacht!", Hg. Jürgen Schmude und Wilhelm Brunswick, Brendow Verlag 2005)

KONSTANTIN WECKER