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Zum Tode von Hanns-Dieter Hüsch am 6.12.2005

Nach langer Krankheit: Hanns Dieter Hüsch ist tot. Foto: ddp

Hanns-Dieter Hüsch, geboren 1925 in Moers, bekam zahlreiche Preise und Auszeichnungen, unter anderem den Deutschen Kleinkunstpreis und die Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt Moers.


Nach langer Krankheit: Hanns Dieter Hüsch ist tot. Foto: ddp



Kennst Du diese plötzlichen Sekunden

wenn Dir einfällt, dass Du sterben musst
Siegessicher gehst Du durch die Stunden
doch auf einmal wird es Dir bewusst

Und Du fragst Dich, wie das wohl gehen wird
welches Wort als letztes Wort Du sagst
Wer zuletzt an Deiner Seite stehen wird
ob Du tapfer, oder ob Du klagst

Dann bald ist Obduktion im Café Größenwahn
schnell die nächste Leiche auf den Tisch
dann wird aufgemacht und dann wird nachgedacht
dann wieder zugemacht und sich kaputtgelacht

Denn in jeder Leiche ist ein Kind versteckt
das nach Zukunft fragt und nach Frühling schmeckt
und sich dann erschreckt

Und dann kommen all' die flotten Leute
rufen "hören Sie doch damit auf"
so ein Quatsch, denn heut' ist schließlich heute
kommt! Wir machen schnell noch einen drauf

Und dann findet man noch einen Frühstücksrest
vom Oktoberfest, der sich sehen lässt
Herr, war das ein Fest!

Und dann kommen auch die großen Tröster
mit den neuesten Plänen in der Hand
dann wird diskutiert und dann wird reflektiert
und danach konstatiert, dass man Dich angeschmiert

Und dann findet man noch einen Augenblick
eine Spur vom Glück und ein Silberstück
doch das liegt weit zurück

Und dann findet man noch einen Trennungsgrund
zwischen Herz und Mund
ziemlich schmal und rund
doch sonst war er gesund

(Hanns Dieter Hüsch)

                                                                                                                                                mehr zum Tod von Hanns-Dieter Hüsch >>>
Hanns-Dieter Hüsch
Sach ma nix!

ZITATE / Tach zusammen! Na, wie isset denn? Gut!? Hauptsache! - gesammelte Wahrheiten von Hanns Dieter Hüsch.
NRZ 04.05.2005  

Nee, nee, an den Niederrhein, da musse schon viel Gemüt mitbringen. Wie sach ich immer: Internationales Gemüt, denn speziell der Niederrheiner stammt ja von allen Menschen ab. Dat hab ich schon mal in Kleve vor Jahren in einem Vortrag gesacht.

Also gut: Die Schönheit des Niederrheins, mein ich immer, dat is nich sone Angelegenheit, so wie man sacht, Gott is die Frau schön. Das geht tiefer. Dat krisse fast gar nich raus, warum dat so is. Auf den ersten Blick schon gar nicht. Muss ja auch nicht sein, sach ich immer, dat wär ja ne langweilige Schönheit. Nein, der Niederrhein will angeguckt werden. Und dann beginnt die große Liebe. Dat is dat Geheimnis des Niederrheins. Un wer einmal am Niederrhein war, der kommt wieder.

Da jagen sich die Rätsel: Warum is hier nix los un doch alles los. Un wo anders is alles los, un gar nix los. Der Niederrhein, denk ich immer, macht einem nix vor. Da gibbet keine kalkulierte Romantik, sondern eine Musik aus Vergessen und Erinnern, un da draus entsteht das Gefühl am Ende der Welt, am Ende aller Tage zu sein. Und aus dem Altrhein bei Xanten tauchen prustend alle Vorfahren auf, als hätten sie sich verschwommen. Wer Phantasie studieren möchte, der sollte ein paar Semester an den Niederrhein kommen und dann als Lohengrin wieder in die große Welt fahren. Burgen gibt´s. Schlösser gibt´s und Wasserschlösser, Windmühlen und Wassermühlen, Kirchturmspitzen, Fähren und Inseln, Kunst im Schloss Moyland, Karneval in Keppeln, und komm mir nun keiner, und sach, er sei nicht genannt worden.

Der Niederrheiner ist überhaupt zu allem unfähig. Er weiß nix, kann aber alles erklären. Umgekehrt: Wenn man ihm etwas erklärt, versteht er nichts, sagt aber dauernd: Is doch logisch. Und wenn er keinen Ausweg mehr weiß, steigert er sich in eine ungeheure Assoziationskette hinein. Er kann zum Beispiel in wenigen Sätzen von Stefan Askenase, dem berüchtigten Chopinspieler, auf die Narkoseschwester Gertrud kommen.

In Homberg am Niederrhein, da sagt man nämlich nicht: "Nimm Platz", sondern da sagt man: "Geh sitzen". Dat is zwar krummes Deutsch, geh ma auf de Bank sitzen, aber sowat von gemütstief, kriegen se später nie wieder, nie.

Wenn ich mir heute ein Jugendbildnis von Joseph Beuys anseh, das mit dem weißen Hemd und dem offenen Kragen, wo er so vor sich hinblickt, das ist das niederrheinische Auge, das bis in die letzten Winkel der Welt sieht.

Die meisten Niederrheiner sind ja auch durch de Bank schwermütig. Also nicht durch de Bank, obwohl manche sind auch durch de Bank schwermütig.

Wir sind unsere eigenen Philosophen. Und wenn der Rheinländer auf die Frage "Wie isset?" "Gut" sagt, dann sagt der Niederrheiner: "Wie sollet sein?" Ja, aus uns krisse so schnell nix raus.

Das ist ja der Choral des Niederrheiners: Wat willze machen. An sonem Tag biss einfach aufgeschmissen, und dann ist der Niederrheiner auch noch aggressiv gehemmt.

Wenn der Niederrheiner mal ausnahmsweise etwas weiß, dann weiß er dat aber auch ganz fest bis an sein Lebensende, bis in alle Ewigkeit. Auch wenn et gar nich stimmt. Un meistens stimmt et nich.

Die einen haben et und die anderen müssen et erfinden. Ich sag, Herr Pastor, wat am Niederrhein nich alles schon erfunden worden is in der Hinsicht, nur um sich über Wasser zu halten, da müssten Sie drei mal am Tag predigen, um dat alles unterzubringen.

Da gibbet am Niederrhein Hunderte von. Alles Verrückte, die keiner Fliege was zuleide tun. Höchstens sich selbst.

Sagte ich später zu meiner Frau: Warum ich da in aller Ruhe sitzen wollte und immer "ja natürlich" gesagt habe und die Welt über mich ergehen ließ. Scheusal, sagte meine Frau. Ja natürlich, sagte ich. Der Niederrheiner ist eben der Mongole unter den Rheinländern.

Der Niederrheiner braucht ja eigentlich nur sich, mehr muss dat gar nicht sein, weil de so viel mit sich selbst zu tun hat, von morgens bis abends. Da kommt der auf dem flachen Land gar nicht zu Ruhe, weil de ewig am bosseln un am prakesieren un am rennen is, aus de Küch innet Krankenhaus, dann auf en Kirchhof und dann wieder zurück inne Küch.

Ein Schluri, weil ich hab de Kopp zu voll. So sagt man auf Niederrömisch. So haben die alten Römer früher am Niederrhein gesprochen.

Er möchte unauffindbar sein, sagt er immer, damit er seine völlig Ruhe hätte. Davon hätte er schon als Kind geträumt, am unteren Niederrhein möchte er unauffindbar sein. Hat er an der Theke von Hein Lindemann allen verkündet: unauffindbar. Da hamwer alle ganz bedöppelt ausgesehn.

Also dann Gruß zu Haus un Tach zusammen Hanns Dieter Hüsch, Zitat-Auswahl von Karen Kliem aus: "Zugabe" (Köln 2003), "Mein Traum vom Niederrhein" (Duisburg 1996), "Und sie bewegt mich doch" (Mainz 1985).


Ein wunderschönes Gedicht über die Mainzer Altstadt, das aber genau so auch für andere Städte gilt,
wenn sie denn noch eine Altstadt haben... (Danke an Günter Schullenberg für den Hinweis auf diesen Text,
den ich bisher nicht kannte.)


Eine Altstadt muss man lange wiegen
Lang verwahren wie ein Kind
Weil in ihr verborgen liegen
Dinge die gewesen sind

Rätsel die nach Lösung suchen
Kälte die nach Wärme schrie
Menschen die den Krieg verfluchten
Liebe Krankheit Poesie

Häuser die sich leicht verneigen
Häuser die von Zwietracht sprechen
Häuser die uns Freundschaft zeigen
Häuser die zusammenbrechen

Trinker die nach Gleichheit suchten
Dichter die nach Freiheit riefen
Menschen die den Krieg verfluchten
Oft auch um ihr Leben liefen

Häuser die vom Tod erzählen
Häuser die die Zeit besiegen
Häuser die sich fast vermählen
Und sich in den Armen liegen

Menschen die ums Leben kamen
Menschen die die Welt verlachten
Menschen die in Gottes Namen
Neuen Mut und Hoffnung machten

Eine Altstadt muss man lang verwahren
Lange wiegen wie ein Kind
Da auch wir in wenigen Jahren
Alte Menschen sind.


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