Neue
Zürcher Zeitung 14.01.1999
(gefunden
auf der Seite: Canabbys)
Nelson George
erklärt in seinem neuen Buch die Hip-Hop-Kultur.
Vor zwanzig Jahren ging
mit «Rapper's Delight» der erste Rap-Hit um die Welt.
Seither ist der Erfolg der Hip-Hop- Kultur trotz der inhärenten
Gewalt nicht zu bremsen. Der amerikanische Musikpublizist Nelson George
erklärt in seinem Buch «Hip Hop America», warum. Hip Hop ist nicht nur die reine Kunst des
Sprechgesangs, sondern auch ein kultureller Komplex, der Aussenstehende
immer wieder sprachlos macht. In die Bewunderung für die
gerappten Verse mischt sich oft ein Unbehagen
über die Inhalte und Werte, die damit transportiert werden:
Materialismus, Sexismus, Rassismus und Homophobie. Die
verherrlichte Gewalt kam in den achtziger und frühen neunziger
Jahren auch ausserhalb der Rap-Texte immer wieder zum Ausbruch. Bis das
hochexplosive Gemisch aus künstlerischer Konkurrenz, schnellem
Geld und Machotum Mitte der neunziger Jahre eskalierte.
Nelson George bewegt sich
auf der Ideallinie zwischen Distanz und Nähe, um diese Kultur
verständlich zu machen. Als langjähriger Musikjournalist
für Zeitschriften wie «Billboard»,
«Playboy» und «Village Voice» hat er mit fast
allen Rapperinnen und Rappern persönlich Kontakt gehabt, immer
wieder wurde er als Vermittler zwischen Hip Hop und Öffentlichkeit
beigezogen. 1990 hat Nelson George ein Buch geschrieben, in dem er
schilderte, wie das weisse Musikbusiness die schwarze Musik
verwässerte: «The Death of Rhythm and Blues». Sein
neues, bisher nur auf englisch erschienenes, Buch heisst jedoch nicht
«The Death of Rhythm and Rap», sondern «Hip Hop America», im Titel
schon die These vorwegnehmend,
dass Hip Hop nicht nur ein Teil
der amerikanischen Kultur wurde, sondern diese auch mitgestaltet.
Belege für diese These gibt es viele. Hip Hop hat die Art
und Weise, wie Musik gemacht wird, völlig verändert und den
Lebensstil einer ganzen Generation von Jugendlichen - beinahe weltweit
- geprägt. Hip Hop hat nicht nur Wesentliches zum Boom des
Musikgeschäfts beigetragen, sondern auch eine ganze Modeindustrie
hervorgebracht. Mit Hip Hop haben die Afroamerikaner zum erstenmal
einen eigenständigen kulturellen Ausdruck gefunden und diesen auch
noch selber vermarktet.
Nicht zuletzt hat Hip Hop immer wieder die amerikanische Politik
beschäftigt.
«Hip Hop
America» ist nicht nur
ein Musikbuch, sondern ein sehr subjektiver sozialwissenschaftlicher
Essay. Nelson George beschreibt den äusserst kurvenreichen
Weg einer Minoritäten- Kultur in den amerikanischen Mainstream,
einen Weg, dessen Hauptmerkmal die Gewalt war. Wie die Gewalt in die
Rap-Texte kam, ist nicht so schwierig zu erklären; ein Panorama
der Lebensbedingungen in den schwarzen Vierteln der Grossstädte
macht das verständlich: 1990 war in Washington DC jeder vierte
männliche Schwarze entweder im Gefängnis oder auf
Bewährung. Kriminalität wandelte sich zu einer Art
männlichem Initiationsritus. Vergewaltigungen im Gefängnis
liessen diese Männer Sex nicht als Akt der Liebe, sondern als Akt
der Macht erfahren, was sich auf deren Verhältnis zu Frauen
übertrug. Goldketten, teure Schlitten und Waffen wurden zu
Insignien von Materialismus und Macht. Die B-Boys, wie die Hip-Hopper
genannt werden, waren «Criminal Minded» (so der Titel eines
Rap-Albums), weil ihre unmittel- bare Umgebung kriminell war.
Etwas schwieriger
zu erklären ist, warum die fiktionale Gewalt aus den Texten wieder
herausgefunden hat. Das ist nicht selbstverständlich; niemand
würde auf die Idee kommen, Martin Scorseses Leben sei in Gefahr,
nur weil er gewalttätige Filme dreht. Das Leben eines
Gangsta-Rappers aber konnte kurz sein. Das erste Opfer der Gewalt war
der Produzent Scott La Rock.
Er wurde 1987 von einer Kugel getroffen, als er versuchte, einen Streit
zwischen seinem DJ und einem Drogendealer zu schlichten. Scott La Rock
war nie gewalttätig. Die Texte seiner Gruppe Boogie Down
Productions jedoch waren es, was genügte, um die Gang des
Drogendealers mehr als nervös werden zu lassen.
Offensichtlich war es
dasselbe Wildwest-Klima, das die Gewalt in die Texte einfliessen und
wieder daraus hervor- brechen liess. Im Falle von Scott La Rock auf
tragische Weise, in anderen Fällen jedoch mit einer gewissen
Logik. Tupac Shakur spielte
die Hauptrolle im «Krieg» zwischen Ost- und Westküste
Mitte der neunziger Jahre, den George Nelson als das Herzstück
seines Mafia-Thrillers «Hip Hop America» inszeniert. Er
endete mit dem Tod von Tupac Shakur, dem ersten Superstar des Rap, und
dem Sieg von Sean «Puff
Daddy» Combs, der Tupacs Nachfolge antrat. Oder, wenn man
will, mit dem Sieg des Ostküsten-Rap über den
Westküsten-Rap, und demzufolge mit dem Verschwinden des
Gangsta-Rap, denn nach dem
Mord an Tupac Shakur (Westküste) und der «Rache» an
Notorious B.I.G. (Ostküste) war es aus mit verbalen Drohungen und
dem Lächerlichmachen des Gegners. Der Rap von 1999 hat zu
einer friedlichen Form der Konkurrenz zurückgefunden - (was aber nichts daran ändert, dass
Hip-Hop-Stars regelmäßig von
der Polizei überwacht werden und ja auch regelmäßig
mit dem Gesetz in Konflikt
geraten...)
Nelson George versteht es,
diese filmreife Fehde, von der sich im nachhinein herausstellen sollte,
dass sie nur das Produkt der Phantasie einiger Leute von Tupacs Label
war, vor einem Hintergrund zu entfalten, der sie einiger- massen
verständlich macht. Vor demselben Hintergrund nämlich, der
1992 in Los Angeles zu Krawallen geführt hatte. Dabei macht Nelson
es sich nicht so einfach, nur Armut und Hoffnungslosigkeit
verantwortlich zu machen (obwohl das zweifellos eine Rolle spielte),
denn was unter den Afroamerikanern zu Verunsicherung und
Orientierungslosigkeit führte, war vielmehr die neue Erfahrung von
Gleichberechtigung und sozialem Aufstieg: B-Boys und Buppies (Black
urban professionals, die gebildeten Schwarzen) hatten mit den
Turbulenzen der Aufwärtsmobilität zu kämpfen. Auch
Chauvinismus und Frauenfeindlichkeit sieht George als Folge
gesellschaftlichen Wandels, waren es doch in erster Linie die schwarzen
Frauen, die sich dank einer guten Ausbildung in die Mittel- klasse
hocharbeiteten, während viele Männer sich weiterhin als
Analphabeten verdingen mussten. Songs wie «They Want Money»
von Kool Moe Dee oder
«Sophisticated Bitch» von Public
Enemy, die Frauen als geldgierig und eingebildet darstellten,
machten die Minderwertigkeitskomplexe schwarzer Männer
offensichtlich. Nelson George geht es jedoch nicht nur um die
Erklärung von Gewalt und Misogynie (abgesehen davon gibt es ja
auch politisch korrekten Rap), sondern auch um die Frage, was die
Millionenerfolge der schwarzen Musik gebracht haben. Den Vertrag des
unabhängigen «schwarzen» Labels Motown mit dem
Musikmulti MCA von 1982 deutete Nelson in «The Death of Rhythm
and Blues» noch als künstlerischen Ausverkauf der black
music. Heute beurteilt er das - etwa zeitgleiche - Engagement
«weisser» Labelmanager in der Hip-Hop-Kultur als
gewinnbringend. Diese verkauften die Rap-Platten den weissen
Käuferschichten, ohne den schwarzen Künstlern dreinzureden.
Weisse, oft
jüdische Geschäftsleute waren es auch, die mit einem
schwarzen Unternehmer zusammenarbeiteten, der zur wichtigsten Figur der
Hip-Hop-Kultur werden sollte: Russell
Simmons. Sein Label Def Jam hatte und hat viele der
künstlerisch bedeutendsten und kommerziell erfolgreichsten
Rap-Bands unter Vertrag: Public
Enemy, LL Cool J, die Beastie Boys, EPMD, Redman und Warren G. Von Kurtis Blow, einem der ersten
Old-School-Rapper, bis zum Wu-Tang-Clan-Mitglied Method Man hat Simmons mit der
Entwicklung des Rap immer Schritt gehalten und sein Imperium mit Film,
Fernsehen und Mode diversifiziert. Russell Simmons hat sich laut George
Nelson nie als «schwarzer» Unternehmer verstanden, sondern
als Vermittler, der die Hip- Hop-Kultur jedem verkauft, der sie haben
will.
In Punkto Erfolg wurde
Simmons bisher nur von einem anderen schwarzen Produzenten
übertroffen, von Sean
«Puff Daddy» Combs, der nicht nur ein eigenes Label
führt, sondern auch selber rappt. George gelingt es, die immer
wieder gefährdete Erfolgsstory dieses Künstlers und
Unternehmers packend zu erzählen. Trotz aller Tragik, aller Gewalt
und allen Business-Wirren hat sich dieses Multitalent durchgesetzt und
steht darum heute für den Erfolg von Hip Hop weltweit.
Das ist ja etwas, was die Afroamerikaner nicht
verstehen können: warum sich die Hip-Hop-Kultur auf der ganzen
Welt verbreitet hat. Und noch irritierender ist, dass es oftmals
gerade Weisse sind, die den «wahren» und
«authentischen» Hip Hop gegen dessen
«Kommerzialisierung» (etwa durch Puff Daddy) verteidigen.
Nelson George erkennt in der amerikanischen (und man müsste wohl
hinzufügen, in der weissen) Psyche das Moment eines Schuldgefühls,
das gerade liberale Wesse dazu bringt, die afroamerikanische Kultur zu
romantisieren. Genauso falsch
wäre es jedoch, die Übernahme des Rap, der
Hip-Hop-Mode sowie der ganzen Hip-Hop-Gesten und der Hip- Hop-Sprache
durch europäische Kids zu verurteilen. Obschon auch Nelson
George etwas irritiert zu sein schien, als er mit Russell Simmons einst
Europa besuchte: «Es ist 1995,
und ich bin in einem Nachtklub in Zürich. Der Raum
ist vollgepackt mit Teenagern und jungen Erwachsenen in Schlabberhosen,
T-Shirts und Stussy-Mützen. Bleiche, magere Mädchen schwingen
ihre schlanken Hüften und nackten Bäuche mit dem Enthusiasmus
von Sisters in Brooklyn. Hip Hop hat auch hier seine Spuren
hinterlassen - Graffiti sind über die Mauern der ganzen Stadt
verstreut.»
Quelle: Neue Zürcher
Zeitung
Erscheinungsdatum
14.01.1999
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