Tiziana
Zugaro-Merimi
Die Hip Hop Nation
NACHHILFE FÜR DR. STOIBERIn der Rap
Musik funktioniert Integration des "Anderen" schon lange besser als
anderswo
Drinnen im Kopf spielt der Beat, der den Takt
für den
langsamen, schlendernden Gang und die lässigen Handbewegungen
angibt.
Die Youngsters tragen Baggy Pants, überweite Sweatshirts,
umgedrehte
Baseball-Kappen und bewegen sich nach dem Rhythmus des Hip Hop, oder in
diesem Fall besser: der Rap Musik. Spätestens seit Mitte der
neunziger
Jahre prägt Hip Hop auch in Deutschland das öffentliche
Leben. Er ist
Teil einer Jugendbewegung, die in den achtziger Jahren in den von
Schwarzen und Puertoricanern bewohnten Armenvierteln von New York und
Los Angeles ihren Anfang nahm - auf der Kehrseite des American Dream
der Reagan-Ära. Seit dieser Zeit hat die einst marginalisierte Hip
Hop
Kultur einen langen Weg zurückgelegt, der sie geradewegs ins
Zentrum
geführt hat. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit von Jugendlichen und
Vermarktungsspezialisten auf der ganzen Welt.
Angesichts unseliger Einwanderungsdebatten, wie sie zurzeit
geführt
werden und mit Sicherheit auch im Bundestags-Wahlkampf nochmals unter
dem Motto "Wieviel Fremdheit vertragen wir?" aufgebrüht werden,
lohnt
sich der Blick auf eben jenen diffusen Begriff von Fremdheit, der vor
allem von den ach-so-christlichen Unionsparteien gerne ins Spiel
gebracht wird. Dabei fällt vor allem auf, dass die Position
derjenigen,
die mit der Angst vor Überfremdung argumentieren, völlig an
der
Realität vorbeigeht. Während auf der politischen Bühne
in beschämender
Weise um das Nachzugsalter von Migrantenkindern gefeilscht wird, hat
die Integration des sogenannten Fremden woanders längst
stattgefunden:
In der Popkultur.
Die afroamerikanische Kultur ist hier in Deutschland keine
Migrantenkultur, aber sie steht, auf symbolischer Ebene, für das
ethnisch "Andere". Da auch in politischen Debatten gerne auf den
symbolischen Gehalt von Fremdheit zurückgegriffen wird, ist es
äußerst
aufschlussreich zu fragen, wie mit schwarzer Kultur ein Grundbegriff
dieses "Anderen" auf kultureller Ebene integriert wird.
Mit dem weltweiten Siegeszug des Hip Hop in den neunziger Jahren hat
die afroamerikanische Kultur eine bislang nie dagewesene zentrale Rolle
im Mainstream eingenommen. Sicher war afroamerikanische Musik auch
schon früher Teil der deutschen Unterhaltungsindustrie, etwa zu
den
Hochzeiten von Soul, Jazz oder Disco-Musik, dennoch macht sich in den
letzten zehn Jahren ein wichtiger qualitativer Unterschied bemerkbar:
Die afroamerikanische Hip Hop Kultur dient einer breiten Schicht von
Jugendlichen nicht nur als Projektionsfläche für Fantasien
sondern auch
als Identifikationsobjekt. Das bedeutet im Klartext: Die Figur des
Rappers wird von vielen jungen Leuten als Option für das eigene
Ego in
das Selbstbild integriert. Man hört nicht nur Rap Musik, man
kleidet
sich auch wie die Vorbilder aus den Staaten, man nimmt ähnliche
Sprachwendungen an und sieht in Hip Hop eine Perspektive für eine
andere Sicht auf die Welt. Interkultureller Austausch: Gelungen.
Hip Hop, ursprünglich eine Dreierkonstellation aus Breakdance,
Graffiti
und Rap Musik, ist als Sprachrohr für unterprivilegierte junge
Schwarze
und Puertorikaner in amerikanischen Großstädten entstanden.
Chuck D.
von der Rap Gruppe Public Enemy
bezeichnete Hip Hop einst als das "CNN der Schwarzen". Natürlich
gibt
es auch genügend Rapper wie beispielsweise Sean Combs, die lieber
über
Partys, schnelle Autos und flotte Bienen rappen als über das Leben
auf
der Verliererseite. Dennoch bezieht die Hip Hop Kultur - selbst in
ihrer Ausformung als Glam-Rap - ihre Attraktivität aus dem Gestus
der
Verweigerung, dem Gestus der Rebellion gegen die Spielregeln der
dominanten Gesellschaft. Ohne unbedingt die gleichen Lebensbedingungen
zu teilen, wird diese Geste vor allem von jungen Leuten verstanden,
aufgenommen und auf die eigene Situation übertragen. Ob es nun um
die
Ohnmacht gegenüber einer rassistischen Gesellschaft geht oder um
die
Probleme mit einem kollabierenden Schulsystem und einer
erdrückenden
Jugendarbeitslosigkeit, das Gefühl der Ausgrenzung ist dasselbe.
Über MTV, jenen Sender, der sich anfangs sogar weigerte,
Video-Clips
von Rap-Musikern auszustrahlen, sowie über andere
Musik-Kanäle ist Hip
Hop in die Jugendzimmer auch der entlegensten Gegenden vorgedrungen.
Und zwar weltweit. Dabei bleiben die Hip Hop Fans nicht nur in der
Rolle der Konsumenten: Gerappt wird inzwischen rund um den Globus. Es
gibt Hip Hop-Crews im Senegal und in Portugal, in Frankreich und
Brasilien. Inspiriert von der Hip Hop Kultur zeigen sich besonders auch
Migranten - türkische Rapper in Deutschland, afrikanische
Hip-Hopper in
Frankreich. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass der Hip Hop
ein bisweilen zutiefst reaktionäres Männlichkeitsideal
propagiert. Auf
MTV wird´s vorgemacht: Die Helden sind Machos mit schweren
Goldketten,
die großbusige, leichtbekleidete Hüpfer um sich scharen. Das
kommt
offensichtlich an. Man könnte auch sagen, dass der "potente
schwarze
Mann" in Zeiten der Männlichkeitskrisen einen willkommenen Beitrag
zur
Revitalisierung der weißen Männer leistet. Doch wo das
Unheil wächst,
ist auch das Rettende nicht fern: Rapperinnen wie Queen Latifah, MCLyte
und Missy Eliott bieten erfrischende Gegenentwürfe zu dieser Form
des
Phallozentrismus. Deutsche Rapperinnen wie Aziza-A und Pyranja machen
es nach.
Doch Hip Hop Kultur ist nicht nur in der Rap-Musik sichtbar. Sie hat
Einzug gefunden in amerikanische Filme und Fernsehserien, die auch bei
uns populär geworden sind.
Frühere schwarze Sitcoms spielten meist in der Arbeiterklasse.
Über die Figuren aus Siebzigerjahre-Serien wie den Jeffersons
und Good Times konnte
man lachen, identifizieren wollte man sich aber lieber nicht mit ihnen.
Die Serien standen für TV-Segregation, der Anteil an weißen
Zuschauern
war verschwindend gering. In den achtziger Jahren überwand die Cosby
Show
diese Zuschauertrennung mit einer Art Wohlfühl-Fernsehen für
die ganze
Nation. Sie propagierte erfolgreich das Ideal der schwarzen
Obere-Mittelklasse-Familie. Die Familie um Bill Cosby sprach der
Doktrin der Reagan-Ära aus dem Herzen: Schaut her, liebe Schwarze,
wenn
ihr euch anstrengt, dann klappt´s doch. Währenddessen
klaffte die
soziale Schere immer weiter auseinander.
Die Serie Fresh Prince of Bel-Air im Jahr 1990 Serie kann als Reaktion
auf die Cosby Show
gesehen werden, und sie brachte eine Trendwende. Hier platzte der
Eindringling aus dem Ghetto mitten hinein in die kuschelige Fernsehwelt
der schwarzen Mittelklasse. Der junge Rapper Will Smith symbolisierte
als Fresh Prince die junge, freche Hip Hop Kultur. Er ist das
Ghetto-Kid, das unversehens zur wohlhabenden Familie seines Onkels in
das Nobelviertel Bel-Air in Los Angeles geschickt wird und dort
mächtig
für Aufregung sorgt. Es ist naheliegend, dass man für die
Rolle keinen
Polit-Rapper wie KRS-One genommen hat, oder gar einen Gangsta Rapper
wie Ice Cube oder - besser noch - Ice-T. Der Fresh Prince war die
fernseh-kompatible Lösung, um den Rap-Hype aufzugreifen. Dennoch
ist
nicht zu unterschätzen, was die Serie bewirkt hat. Der Fresh
Prince of Bel-Air
konterkariert die Werte der oberen Mittelklasse mit den Weisheiten von
der Straße, mit der Lebenserfahrung eines Jungen, der zwischen
zerbrochenem Glas und eben nicht auf Golfplätzen groß
geworden ist.
Klar, alles ist lustig angelegt und sowohl die Protz-Familie als auch
der wilde Neffe müssen voneinander lernen. Aber der Fresh Prince
etablierte sich als coole Gegenstimme, die so manches in Frage stellt,
was in der Cosby Show propagiert wurde. Der Fresh Prince
wurde zur Identifikationsfigur - über ethnische Gruppen hinweg.
Denn
bei den überwiegend jugendlichen Fernsehzuschauern war eine
Trennung
zwischen schwarz und weiß kaum mehr wahrzunehmen.
Später sollte der Geist des Hip Hop auch in andere
TV-Lebenssphären
eindringen. In die Arbeitswelt der "Buppies" (der Black Yuppies) hielt
Martin Lawrence mit seinem anarchischen Humor als Martin 1992
Einzug. Das bisher weißen Fernsehserien vorbehaltene
Journalisten-Milieu wurde 1993 von Queen Latifah und ihren drei Living
Single Sistahs kräftig aufgemischt. Und und und.
All diese Serien liefen auch erfolgreich im deutschen Fernsehen.
Die von Hip Hop beeinflussten Filme der neunziger Jahre boten keine
Ghetto-Tristesse, sondern aufregende, wenngleich bisweilen recht
stereotype Geschichten. Die Filme spielen im Ghetto, beziehen ihren
Stoff aus dem sozialen Sprengstoff dieser Viertel, bieten aber eine
Fülle an kinotauglicher Dramatik und Symbolik, die das Ghetto als
Ort
des filmischen Begehrens abstoßend und begehrlich zugleich macht.
Ähnlich wie in James Cagneys legendären Gangster-Filmen The
Public Enemy
(1931) und White Heat (1949) avancierte hier der eigentliche Anti-Held
zur stärksten Figur auf der Leinwand. Und bezeichnenderweise sind
es im
Zeitalter der Hip Hop Kultur schauspielernde Rapper, die zum begehrten
Identifikationsobjekt werden. Eine Grundregel der Kinos lautet:
Desperados sind immer anziehend. Das war schon bei James Cagney, James
Dean und Alain Delon so. Und die neuen Desperados des Films waren eben
junge schwarze Gangster - am besten mit Hip Hop Verbindungen.
Film ist nicht Wirklichkeit, aber er wirkt, als sein symbolische Kraft,
realitätsverändernd. Durch die Identifikation mit dem
schwarzen
Anti-Helden findet eine Art Integration im imaginären Raum statt,
eine
Kraft, die in ihrem Einfluss auf die Wahrnehmung des "Selbst" und des
"Anderen" nicht zu unterschätzen ist. Als ein Ahne der der Hip Hop
Kultur ist die Black Power Bewegung zu sehen, die dem Hip Hop einen
revolutionären Gestus vererbt hat. Der Gestus besteht auch heute
noch,
die politische Aktion, wie sie in den siebzigerJahren hinter dem Stil
stand, gibt es dagegen nicht mehr. Vielleicht ist es auch deshalb erst
jetzt möglich, dass die schwarze Outlaw-Kultur zum
Identifikationsobjekt einer breiten Masse im Mainstream geworden ist.
Auch in Deutschland hat sich jemand dieses Gestus angenommen: Die
Bücher und Auftritte des Schriftstellers Feridun Zaimoglu und
seine
"Kanak Sprak" sind im Grunde nichts anderes als die Fortführung
des
Hip-Hop-Outlaw-Geistes mit deutsch-türkischen Mitteln. In dem von
ihm
mitinitiierten Bündnis Kanak Attak
sammeln sich Künstler wie politische Aktivisten. Der Wille zur
Abgrenzung funktioniert als Bindemittel zwischen Gruppen, die ebenfalls
Distanz zur "neuen Mitte" suchen.
Ironischerweise schafft so der Outlaw-Charakter der Hip Hop Kultur eine
Form von "Integration", wenngleich auch nicht unbedingt die von den
Politikern gewünschte. Zum einen stehen für deutsche Rapper -
inklusive
afrodeutsche, deutsch-türkische und andere mehr - die
afroamerikanischen Rapper Pate. Zum anderen ist das Engagement gegen
Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, dem sich viele Hip Hopper in
Deutschland verschreiben, Zeichen der Teilhabe an der Gesellschaft. Die
"Goldkettchen-Fraktion" hat sich hier nie so ganz durchsetzen
können.
In Deutschland dominiert der sozialkritische Rap.
Die Pop-Kultur schafft Kulte und Integrationseffekte, die mit der
national gedachten Integration von Stoiber und Konsorten nichts zu tun
hat. Allein durch die ihre kreative Misch-Sprache aus deutsch,
englisch, und manchmal auch türkisch, grenzen sich viele deutsche
Rapper von dem gesellschaftlich zur Integration vorgezeichneten Weg ab.
Ihr Mechanismus ist Integration qua Abgrenzung, sie macht den Underdog
zum Star - auch so kann eine Aneignung des Fremden aussehen. Die
zentrale Frage ist eigentlich, ob eine national verstandene Integration
im Zeitalter der Globalisierung noch das richtige Konzept ist.
Wie weitsichtig erscheint es dieser Tage, dass trotz aller Rangeleien
um die Frage, wer das "Geburtsrecht auf Rap" besitzt, echte Rapper
schon immer grenzüberschreitend gedacht haben. Wer
dazugehört, wer sich
mit den Werten des sozialkritischen old-school Hip Hop identifiziert,
der gehört ganz einfach zur "Hip Hop Nation".
©
11
8.3.2002
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