Zwischen Hamm und Eisenheim
Zwischen Hamborn, Buer
und Brackel, Katernberg und Eisenheim
ist die Welt ein bisschen grauer, doch noch längst nicht
aus dem Leim.
Vor den alten Zechenhäusern jagen Kinder nach dem Ball,
spiel’n Borussia, Rot-Weiß, Schalke, träumen schon vom
Weltpokal...
Auf den Stufen vor der Haustür hockt der alte Kumpel Franz –
stillgelegt ist seine Zeche, und das packt er noch nicht ganz.
Sein Freund Willi ist jetzt Schäfer, hütet an die achtzig
Stück,
möchte manchmal, wenn er nachdenkt, wieder in den Pütt
zurück,
steht allein mit seinen Träumen hinterm alten Eisenwerk
zwischen Osterfeld und Ruhrort, Eisenheim und Katernberg.
An der Kumpel-Riviera,
drüben am Emscher-Kanal
kannst du wohl umsonst mal baden – Spaß kriegst du auf jeden
Fall.
Juanito liegt am Ufer mit der Kleinen vom Büro
und erzählt ihr von Mallorca, doch das kennt sie sowieso...
Jörg und Peter sind grad dreizehn, schwimmen hinterm Kohlenkahn,
und sobald mal keiner hinschaut, hängen sie sich hinten dran.
Kumpel Anton und Cervinski stehn derweil am Taubenschlag,
und die dicke Tante Martha strickt jetzt schon den ganzen Tag
an dem Schal für Opa Lehman... – keiner ist hier ganz allein
zwischen Sodingen und Bottrop, Katernberg und Eisenheim.
Zwischen Hamborn, Buer
und Brackel, Querenburg und Osterfeld,
da gibt’s Straßen, wo du meinst du wärst in einer andren
Welt.
Ahmets Frau mit schwarzem Kopftuch, langer Hose unterm Kleid
und an jeder Hand zwei Kinder wohnt hier erst seit kurzer Zeit.
Ahmet kam vor ein paar Jahren, und nun bleibt er wohl ganz da,
denn nun kam auch die Familie zu ihm nach Klein-Ankara –
so heißt heut‘ die Siedlung zwischen Hafenstraße und Tor
zehn,
wo am Mittag, nach der Frühschicht, Ahmet und Mustafa stehn...
Nebel in den dunklen Augen, und sie träumen von daheim,
Anatoliens arme Söhne, zwischen Hamm und Eisenheim.
Zwischen Hamborn, Buer
und Brackel, Osterfeld und Katernberg,
zwischen Borsig, Krupp und Thyssen, RWE und Hüttenwerk,
zwischen Schloten, Fördertürmen, Schrebergarten, Taubenschlag
stehen Anton und Cervinski müde von dem langen Tag...
Und es braucht nicht große Worte für ihre Philosophie,
nur wenn einer kommt und klugscheißt, so einem misstrauen sie.
Feierabend, Fußball, Fernsehn, Stammtischrunde, Pils und Skat,
sonntags mit der Frau ins Grüne an den Rand der großen
Stadt,
montags wieder zur Maloche, donnerstags den Lottoschein –
manchmal kommt das Glück auch hierhin, zwischen Hamm und
Eisenheim.
Zwischen Hochfeld
und Bruckhausen, Erle, Buer und Schonnebeck
ist die Welt nicht immer
einfach, gibt’s wohl auch Gestank und Dreck,
ziehn auch manchmal
Schwefelschwaden rüber von der Kokerei,
und dann meinst du, du musst
kotzen und die Glieder sind wie Blei –
aber geh doch mal zum
Nachbarn: Seine Tür ist niemals zu,
brauchst du rasch mal
Margarine, kriegst auch noch `nen Schnaps dazu.
Bei Karczinski an der Ecke
ist das Pils stets frisch und kalt
und die Frikadellen sind auch
nie mehr als zwei Tage alt –
und wenn du einmal in Not
bist, werden sie dir Freunde sein:
Kumpel Anton und Cervinski
zwischen Hamm und Eisenheim.
1978
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