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Droht
der
deutschen Sprache die Anglisierung?
http://www.duden.de/index2.html?deutsche_sprache/zumthema/anglisierung.html
Von Ralf Osterwinter (»Sprachspiegel« 1/98)
(Anmerkungen in [...] von mir.)
So, wie die jahrhundertealte Sprachverfallsdebatte in mehr oder weniger periodischen Abständen von der Sprachkritik wieder aufgegriffen wird, erfreut sich auch die These von der Überfremdung des Deutschen durch übermäßiges Eindringen von Fremdwörtern ungebrochener Beliebtheit. Die Aufgabe der öffentlichkeitswirksamen Fremdwortbekämpfung ist nahtlos von Institutionen und Vereinen wie den barocken Sprachgesellschaften oder dem Allgemeinen Deutschen Sprachverein im Wilhelminismus auf namhafte Einzelpersönlichkeiten übergegangen, die sich ebenso befähigt wie berufen fühlen, aus sprachpflegerischem Impetus das alte Klagelied aufs Neue anzustimmen. Ganz in der Tradition so bekannter Sprachliebhaber wie Gustav Wustmann, Ludwig Reiners oder Wolf Schneider rief unlängst der angesehene Germanist Peter Wapnewski in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG den Sprachnotstand aus. Nicht zuletzt durch ausufernden Anglizismengebrauch sieht er die deutsche Sprache in ihrer Substanz und ihrem Wesen so gefährdet wie nie zuvor. Sprachhistorisch betrachtet ist das kritisierte Phänomen indes keineswegs neu, denn völkerübergreifende Kontakte bedeuteten zu allen Zeiten auch Sprachaustausch und ließen fremdes Wortgut in die deutsche Sprache Eingang finden. Mit Beginn der Neuzeit lösten regelrechte Entlehnungsschübe mit wechselnden Vorbildsprachen einander ab: vom griechischen und lateinischen Bildungswortschatz, dem wir seit dem Humanismus so viele Internationalismen verdanken, über den maßgebenden französischen Einfluss des 17. und 18. Jahrhunderts bis zur Welle der Entlehnungen aus dem angloamerikanischen Sprachraum, die uns spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu überspülen scheint. Nachdem viele Wendungen des britischen oder amerikanischen Englisch1 zunächst über verschiedene Fachwortschätze, vor allem denen des Sports, der Musik, der Wirtschaft und der Technik zu uns gelangt sind, finden sich die Belege für das Überfremdungssyndrom gegenwärtig auch in der Alltagssprache zuhauf. So werden heutzutage Vorbestellungen gecancelt, Probleme gemanagt, Situationen gehandelt und Preise gescannt. Statt Überschriften formulieren wir Headlines, das Date ersetzt die Verabredung, und eine Sitzung wird zum Meeting, in dem statt Entwürfen Papers oder Hand-outs verteilt werden. Längst kaufen Mum und Dad mit ihren coolen Kids lieber im Shopping-Center auf der grünen Wiese als im biederen Discounter in der City, und noch auf der langweiligsten Geburtstagsparty intonieren die Gäste selbstredend Happy Birthday ... Der Sportteil jeder Tageszeitung weiß zu berichten, dass der Goalgetter und sein Coach im blauen Sweater beim Training über das vom Referee nicht gepfiffene Foul im letzten Match der Champions League diskutiert haben. Und wer als Aktivsportler up to date und nicht out sein will, steht auf Bungeejumping, Freeclimbing, Rafting und Snowboarding. Die – quantitativ gesehen – größten Auswirkungen dürfte der prophezeite Trend zur anglogermanischen Mischsprache bei den Benutzern der neuen elektronischen Massenmedien hinterlassen haben. Schon die Inbetriebnahme und Bedienung eines Notebooks oder CD-Players erfordert die Beherrschung zumindest eines Teils des einschlägigen englischen Fachvokabulars. Süchtig nach Infotainment, zappen wir uns im Pay-TV von der Talkshow über die Sitcom bis zu den Actionhighlights mit ihren atemberaubenden Specialeffects durch. Und vor allem beweisen die zahlreichen User, die sich tagtäglich ins Internet einloggen und online durchs World Wide Web surfen, dass unser Planet im Zeitalter weltumspannender Kommunikation mittels vernetzter Medien keine Sprachgrenzen mehr kennt und (ganz im Sinne Marshall McLuhans) zur Global Village geworden ist: Wir senden Messages per E-Mail, entwerfen Updates für die eigenen Homepages oder outen uns durch Postings in diversen Newsgroups. Zu all den unmittelbaren Übernahmen
gesellen sich zahllose Mischbildungen:
Powerfrauen und Livesendungen gehen uns
ebenso leicht von den Lippen wie Reiseboom oder Werbespot. Mitunter
begnügen wir uns allerdings auch damit, eine zusätzliche
Bedeutung aus dem Englischen zu entlehnen und auf ein im Deutschen bis
dato nur in anderem Sinn gebräuchliches Fremd- oder Erbwort zu
übertragen. So ist mit der Clinton-Administration
meistens nicht mehr der Verwaltungsapparat des US-Präsidenten
gemeint, sondern schlicht die amtierende Regierung der Vereinigten
Staaten von Amerika. Absichten zu realisieren muss nicht
länger bedeuten, dieselben zu verwirklichen, sondern
möglicherweise, sie (nach engl. to realize) überhaupt erst zu
bemerken. Und bis in die 70er-Jahre wurde auch bei uns nur in Öfen
oder mit Schusswaffen gefeuert; seitdem feuert man aber – nach dem
Vorbild von Problematischer wird es, wenn feste
Wortverbindungen als Lehnübersetzungen Bestandteil für
Bestandteil vom Englischen ins Deutsche gelangen: Statt Selbst vor Pseudoanglizismen scheuen wir nicht
zurück. Gemeint sind Entlehnungen, die zwar aus englischsprachigen
Bestandteilen gebildet sind, aber als solche im Englischen entweder gar
nicht oder nur mit anderer Bedeutung existieren. Zu den reinen
Konstrukten, die uns zwar geläufig, aber in keinem einsprachigen
englischen Wörterbuch verzeichnet sind, zählen beispielsweise
Dressman, Oldtimer,
Shorty oder Twen;
selbst beim (zumindest in der heilen Fernsehwelt) allgegenwärtigen
Showmaster
handelt es sich um eine im Deutschen vorgenommene Analogiebildung zu
Quizmaster. Das handliche Mobiltelefon wird nur im deutschen Sprachraum
als Handy bezeichnet;
im Englischen handelt es sich beim gleich lautenden Wort um ein
Adjektiv mit den Bedeutungen Bei den meisten Entlehnungen aus dem angloamerikanischen Sprachraum handelt es sich um Substantive; Verben und Adjektive folgen mit deutlich geringerem Anteil. Dass der auf etwa 25 Prozent geschätzte Fremdwortanteil in unserer Lexik dennoch nahezu gleich bleibt, liegt an der Schnelllebigkeit vieler Entlehnungen. Auch zahlreiche Anglizismen erfreuen sich nur für eine kurze Zeitspanne regen Gebrauchs. An dieser hohen Fluktuation ist der Jugendjargon nicht unerheblich beteiligt; büßen die Modevokabeln doch ihre prestigeträchtige soziale Abgrenzungsfunktion ein, kaum dass sie die Schwelle zur Alltagssprache der dem Jugendkult verfallenen Erwachsenen erfolgreich überschritten haben. Weniger bekannt ist, dass nach 1945 auch einige Germanismen ins Englische übernommen worden sind (Kindergarten, Sauerkraut, Waldsterben und Realpolitik gehören dazu) und es zu einigen Mischbildungen wie Hamburger und Applestrudel kam. Ihr Anteil am englischen Wortschatz fällt jedoch nicht ins Gewicht. Welches sind nun die Gründe für die unübersehbare sprachliche Anbiederung des Deutschen ans Englische? Verfügt der ungleich größere angloamerikanische Wortschatz mit seinen rund 700 000 Einheiten (die deutsche Lexik umfasst etwa 400 000 Wörter) über so viele Begriffe, denen im Deutschen die Äquivalente fehlen? Liegt es daran, dass das Englische durch seine internationale Bedeutung und Verbreitung in Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Kultur, Mode und Sport längst zur Weltverkehrssprache, zur Lingua franca geworden ist, deren normativer Kraft sich kaum eine andere Sprache mehr entziehen kann? Oder geht mit der wachsenden Bewunderung des American Way of Life zwangsläufig auch dessen Erhebung zur sprachlichen Leitkultur einher? Faktisch stehen den rund 100 Millionen Menschen, für die Deutsch sowohl Mutter- als auch Amtssprache ist, etwa siebenmal so viele gegenüber, die Englisch als Mutter- bzw. Zweitsprache oder als Fremdsprache fließend beherrschen; offiziellen Status hat das Englische sogar für schätzungsweise 1,4 Milliarden Sprecher! Fast jeder Jugendliche der westlichen Hemisphäre wächst heute durch den Schulunterricht mit dem Englischen als erster Fremdsprache auf, und die für die Jugendkultur so bedeutsame Musikszene wird von englischsprachigen Interpreten beherrscht. Die sich an diese Ausführungen anschließende Frage nach einem angemessenen Umgang mit Anglizismen bedarf unbedingt einer differenzierten Beantwortung; Pauschalurteile werden dem multikausalen Sprachphänomen nicht gerecht. Als Prüfsteine für einen sinnvollen Anglizismengebrauch können zunächst die Leitkriterien Prägnanz, Varianz und Kürze gelten. Der Gebrauch eines Angloamerikanismus
ist immer dann angebracht, wenn zur
Bezeichnung des Gemeinten ein deutschsprachiges Äquivalent fehlt.
In vielen dieser Fälle erspart die einfache Übernahme des
fremdsprachlichen Ausdrucks eine semantisch ungenaue Übersetzung
oder eine umständliche Inhaltsparaphrase. Auch aus rein
ökonomischen Gründen bietet sich der Import des
fremdsprachlichen Ausdrucks an, wenn es (noch) kein deutsches Wort
für den zu bezeichnenden Sachverhalt gibt – ist doch die
Neuerfindung und Durchsetzung einer deutschsprachigen Entsprechung ein
aufwendiger und langwieriger Vorgang, an dessen Ende die allgemeine
Akzeptanz der besagten Einheit längst nicht gewährleistet
ist. Zahllose Beispiele lassen sich sowohl in den verschiedenen
Technolekten wie in der Allgemeinsprache finden: So benennt der
wirtschaftssprachliche Fachbegriff Outsourcing prägnant
die Übergabe von
Firmenbereichen, die nicht zum Kernbereich eines Unternehmens
gehören, an darauf spezialisierte Dienstleister, und auch Productplacement
bedürfte der langatmigen Umschreibung durch Wichtige Funktionen erfüllen
Anglizismen auch, wenn sich damit häufige
Wortwiederholungen vermeiden, Aussagen stilistisch variieren
oder syntaktisch straffen lassen. Je nach Äußerungskontext
oder Textsorte kann auch der unübersehbare Trend zur Kürze im
Sprachgebrauch – nicht nur in E-Mails
wird der Telegrammstil gepflegt – einen Anglizismus rechtfertigen. So
beansprucht der Trucker
gerade zwei Sprechsilben und sieben Buchstaben, während es der Letztlich entscheidenden Aufschluss
über den Gebrauchswert eines Anglizismus kann aber erst die
Übernahme der Empfängerperspektive bringen, also die Frage,
ob das Fremdwort von seinen (möglichen) Adressaten eindeutig und
ohne Schwierigkeiten verstanden wird. Ein
Anglizismus sollte folglich vermieden werden, wenn Verständigungs-
und Verständnisschwierigkeiten wahrscheinlich sind. [vgl.
hierzu die Endemark-Studie!] Fragwürdig
wird der Gebrauch von Angloamerikanismen, wenn er von sprachfremden Gründen
bestimmt wird, also keine besondere inhaltliche, stilistische
oder syntaktische Funktion hat. So müssen Anglizismen oftmals zur Prahlerei und Imagepflege herhalten,
weil sich Sprachteilhaber davon eine Aufwertung des eigenen sozialen
oder intellektuellen Ansehens versprechen. Zu Recht kritisiert wird
auch die sprachliche Anbiederung an
(vermutete) Zeitströmungen, etwa wenn man sich durch
exzessive Anglizismenverwendung mit dem Flair von Jugendlichkeit und Modernität
umgeben zu müssen glaubt. Bei näherer Betrachtung gibt es
für zahlreiche Anglizismen prägnante deutsche Entsprechungen
und längst etablierte Lehnwörter: Die häufig befahrene Datenautobahn bedarf kaum
einer sprachlichen Abwertung zum Datenhighway. Der Lover ist ebenso wenig ein
besserer Liebhaber wie
der Loser ein
schlechterer Verlierer(typ).
Ein Feeling ist ein Gefühl [Unvergessen ist der klassische
Fußballer-Satz: Vom Feeling her hab ich ein gutes Gefühl..."],
der Airport bleibt
ein Flughafen, ein Deal ist nicht
gewinnbringender als ein Handel.
Die Rückmeldung ist
gewiss nicht weniger treffend als das Feedback. Die News sind präziser
entweder mit Bedarf es zur Lösung des
Anglisierungsproblems einer staatlichen Normierungsinstanz, die dem
Eindringen von Anglizismen mit staatlich verfügter Reinhaltung des
Wortschatzes begegnet und Verstöße (zumindest der
Staatsdiener) mit Geldbußen ahnden soll? Zwar hat die 1635
eingesetzte Académie française in vielen Fällen
tatsächlich den Verbreitungsgrad von Komposita aus
französischsprachigen Konstituenten zulasten geläufiger
angloamerikanischer Wörter erhöht. So wurde den Franzosen der
Ist demnach nicht vielmehr ein bewussterer Umgang sowohl mit unserer eigenen Muttersprache und ihren vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten als auch mit dem Englischen wünschenswert? Zweifellos ist damit ein hoher Anspruch formuliert. Denn um der Idealvorstellung eines mündigen Sprachteilhabers näher zu kommen, der sein wichtigstes Verständigungsinstrument verantwortungsvoll zu nutzen versteht, bedarf es der Mitwirkung vieler Menschen und Institutionen. Die Sprachkultur des Elternhauses ist dazu ebenso maßgebend wie die Einlösung des schulischen Bildungsauftrages und sprachliche Vorbilder in den populären Massenmedien.
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