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Das dumme Geschwätz von den "blöd klingenden deutschen Wörtern"...
(von Detlev Mahnert)

"Soll ich vielleicht statt Airbag «Prallsack» sagen? Oder «Bühnenhüpfen» statt Location hopping? [Ich füge hinzu: Oder «Kinder» statt Kiddies, «offen» statt open, «Laden» statt shop oder «Ereignis» statt event? Oderoderoder?] Das klingt doch total blöd!"

Eines der am meisten verwendeten 'Argumente', wenn es um die Verteidigung der Mode-Anglizismen geht - und eines der blödesten: Ob ein Ausdruck vertraut oder seltsam klingt,  ist doch nur eine Frage der Gewohnheit und der Durchsetzbarkeit. Wenn jeder einzelne Autofahrer auf einmal nur noch vom «Luftsack» spräche, wäre der Airbag innerhalb kürzester Zeit verschwunden (natürlich nur sprachlich; als Gegenstand soll er weiterhin deutsche wie nicht-deutsche Köpfe, Bäuche, Knie und was es sonst noch an Schützenswertem gibt, vor Unbill und böser Verletzung bewahren...), und keiner würde ihm a) eine Träne nachweinen und b) das deutsche Wort für blöd halten.

Auch die «Zeitschrift» klang einmal blöd - und doch ist das Wort, eine geplante Eindeutschung des französischen journal, heute unumstritten; (bisher jedenfalls, aber vielleicht fällt unseren germanophoben* Dummschwätzern aus der schönen bunten Werbewelt ja noch ein Anglizismus ein, mit dem sie das deutsche Wort wieder verdrängen können; im Endergebnis würde dann aus der «Zeitschrift für den Gartenfreund» vielleicht «Gardener's Monthly»?)

«Ergebnis» übrigens, ein scheinbar unverdächtiges Wort, ist ebenfalls bewusst als Übersetzung des französischen résultat eingeführt worden - erst 1792. Noch viel jünger ist das «Fahrrad«: Erst seit 1889 gibt es dieses Wort für das 1862 von Baader erfundene und zunächst einmal Veloziped genannte Fortbewegungsmittel. «Veloziped» - was für ein Wort! Das hat doch 'was! Leicht anglisiert, vielleicht  als Velozip [wi:lousip], auf den Markt geworfen, könnte es als Kultwort Karriere machen. Und dagegen «Fahrrad» - das klingt eben einfach nur bieder, solide, deutsch eben.

Damals fanden die Leute das «Fahrrad» allerdings nicht deshalb blöd, weil es womöglich Provinzialismus signalisierte, sondern vor allem deshalb, weil das Wort neu war, so wie sie heute eben den «Luftsack» blöd fänden.

Was  können wir daraus schließen? Sprache ist keineswegs, wie von den Verteidigern oder Verniedlichern der Anglizismen-Seuche immer wieder behauptet, ein «lebender Organismus», der sich selbst reguliert - sie ist das Produkt von Sprechern, die sie machen, und deshalb liegt es, wenn eine Sprache eine unerwünschte Richtung einschlägt, an jedem einzelnen, sich um eine Richtungsänderung zu bemühen. Die Bemühungen der Sprach- pfleger im 16. und 19. Jahrhundert zeigen, dass Widerstand gegen den Einfluss scheinbar übermächtiger femder Sprachen sich lohnt. Harsdörffer, Schottelius, von Zesen haben in der Barockzeit lateinische und französische Wörter eingedeutscht - wir verdanken ihnen so selbstverständliche Ausdrücke wie die eben erwähnte «Zeitschrift», wie «Nebensache, Lehrling, Vertrag, Oberfläche, Selbstmord». Wenn wir heute «Briefumschlag, Dienstalter, Bahnsteig» oder «Abteil» sagen, geht das auf gezielte Eindeutschungen im Deutschen Reich nach 1871 zurück, für die vor allem Reichspostmeister Heinrich von Stephan verantwortlich war.
(Heute haben wir keinen  Reichspostmeister mehr, dafür aber einen Herrn Zumwinkel, der bereits als "Sprachhunzer des Jahres" ausgezeichnet worden ist und dem deutschen Volk die Produkte  

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geschenkt hat,  sowie sowieso (weil das ja fast jeder hat) Investor Relations, Online Services, ein Download- center und den/die/das(???) unvermeidliche(n)  Newsletter.
Immerhin, die  «Sterbedatei  PDF 44 KB» gibt's noch auf deutsch, denn ein paar ältere Kunden bedienen sich ja noch unverständlicherweise ihrer Muttersprache...)


Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte Johann Heinrich Campe fremdländische, d.h. griechische, lateinische, französische und englische Wörter durch zuerst wahrscheinlich seltsam anmutende, heute aber allgemein übliche Begriffe wie «altertümlich, Gesetzesentwurf, Körperbau, Ergebnis» (s.o.), «Tageblatt, Festland» usw. ersetzt, und 1898 brachte O. Sarrazin sein "Verdeutschungs-Wörterbuch" heraus, dem wir eine Fülle heute selbstverständlicher Begriffe verdanken, die alle einmal richtig 'blöd' klangen.

Fazit: Die deutschen Wörter haben sich durchgesetzt, weil keiner der genannten Sprachpfle-ger verzagte oder seine Bemühungen um die Erhaltung und Weiterentwicklung der Muttersprache lächerlich oder chauvinistisch fand. Freilich, sie hatten es leichter als Sprachpfleger heute, die gegen die geballte Medienmacht der Möchtegern- weltmänner, Globalisierungssprachmatscher und Multimediablähblubberer antreten müssen - gegen die Meinungsmächtigen, die mangels geeigneter Argumente sich in jämmerliche Klischees und be-mühte Arroganz flüchten und nicht bemerken, dass sie schon lange des Kaisers neue Kleider tragen....Aber der Wind fängt schon an sich zu drehen. Die Sprachverderber haben Namen - sie können benannt, angegriffen und immer wieder auch lächerlich gemacht werden.

Eine der krassesten Missgeburten, der funeral master [statt des Bestatters], hat sich, nachdem eine Welle des Spotts über sie hinweggerollt war, ganz schnell in die eigene Peacebox geflüchtet und schlummert der Eternity entgegen...


(Einige Beispiele stammen aus der Zeitschrift „Deutsche Sprachwelt“ Nr. 4, Dezember 2003)
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Ich erlaube mir hier einmal ein gelehrtes Fremdwort - irgendwann muss man doch einfach mal seine klassische Bildung zeigen dürfen... (Germanophobie = Furcht vor dem Deutschen)