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Ich über mich | Olympia 1972 |
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DER SPIEGEL vom 16.7.2001, Nr. 29 Welcome in Blabylon Erst geht die alte
Fußballherrlichkeit zu Grunde, dann wird
die D-Mark verschwinden, und nun, armes Deutschland, auch das noch:
"Fuck
deutsche Sprache". Das, Pardon, Grafficko, stand bis vor kurzem
(Entfernungskosten: 16 000 Mark) an der Wand des Berliner
Otto-Suhr- Instituts (OSI). Die Sprache des
Faust, des Knaben Wunderhorn und des Lieds vom Brunnen vor dem Tore ist
zum
Ziel vulgärer Beschimpfung geworden,
eine neue Eskalationsstufe ist damit
erreicht. Es geht nicht mehr nur um die seit Jahren geführte
Diskussion, ob
Deutsch angesichts immer neuer Wellen von Anglizismen noch eine Zukunft
hat.
Der Disput gewinnt ideologisch an Schärfe und droht aus den heiligen
Hallen von
Akademien und wissenschaftlichen Zirkeln auszubrechen. Vilmars Veranstaltung hatte das
Thema: "Die
Amerikanisierung der deutschen Sprache als politisches Problem". Ein
eher
als links einzuschätzendes "Bündnis kritischer Studenten" witterte
"impliziten Antiamerikanismus". Dabei ist Vilmar alles andere als ein
Rechter. Von 1900 bis 1970 arbeitete er als Bildungsreferent der IG
Metall
unter Hans Matthöfer, verfocht die 35-Stunden-Woche und gab noch 1995
ein
kritisches Buch über die "Kolonialisierung der DDR" heraus. Nun setzt
Vilmar angesichts der "sich zuspitzenden deutschen Sprachmisere" auf
"aktiven Sprachschutz". Dass sich da, wie der Dozent Martin Jander
dem Professor Vilmar vorhielt, "linke und rechte Zivilisationskritik
auf
eigentümliche Weise" paarten, findet der Beschuldigte unerhört: "Kein
Jota davon ist wahr." Solche Gelassenheit änderte sich mit
dem Aufkommen von
Internet, E-Commerce, New Economy und wie die sprachlichen
Heimsuchungen noch
hießen. Mit einem Schlag war die Welt voller Propheten, die Tempo
predigten, die
Auflösung traditioneller Strukturen verkündeten und die globale
Vernetzung von
allem mit allem priesen. Die Sprache der Besessenen war Denglisch, und
der Mund
ging ihnen über. Es "beamte" und "switchte", es ging um
kreative "Power" und das Bestreben, das Beste noch zu
"toppen". Was bloß normal war, wurde "gehypt", bis es
"hip" wurde und irgendwie "kickte". Bloß keine
Downer", Vorsicht vor dem "Bashing" durch Miesmacher, "in
Charge" sein hieß ranpowern bis zum "Burnout". Die Egos bekamen
neue Kleider, managten sich selbst, "stylten" sich neu, um ja mit
guter "Performance" aufzufallen. Die "E-Lancer", immer cool
drauf, hatten Spaß, besser noch "Fun", oder, wenn es die "Gender
Studies" erlaubten und man einander beim "Get together" näher gekommen
war, good old Sex. Gern wurde jede schnieke Behausung zum "Loft"
upgegradet,
darinnen sich "relaxen" ließ, auf dass sich "Wellness" und
"Fitness" mehrten. So bekam die schweißig-mühselige Welt
der Arbeit eine
unheimliche Leichtigkeit, wenn man sie aus der Perspektive der "Global
Player" und des "Shareholder- Value" durchrechnete: Da ließ sich
mit ein paar Mausklicks "outsourcen", "leaner" produzieren.
Zur Zeit ward schnell der Raum, das Denglisch lieferte die Sprache:
"Just
in time", die rollende Lagerhaltung, "machte Sinn". Der schöne
Sound übertönte so hässliche Wörter wie Stau und Verkehrsinfarkt. Alles
"surfte", war "in Motion", "groovte" mit im
"Drive" einer von "Analysten" als herrlich bewerteten
Zukunft. Manche Adepten des Neusprechs wollen
von den schönen neuen
Wörtern immer noch nicht lassen. Der Verband der deutschen
Internet-Wirtschaft
organisiert in Berlin "Pink-Slip-Partys". Da läuft man nicht etwa in
rosa Unterhosen herum. Der Name leitet sich von den rosafarbenen
Briefen ab,
mit denen US-Firmen kündigen - selbst in der Krise halten die Ritter
der New
Economy die Flagge des Denglisch hoch. Wie immer scheint der öffentliche
Sektor noch nicht bemerkt
zu haben, dass Denglisch nervt. Die Hamburger Müllabfuhr kreierte
"Waste
Watcher"als Namen für ein Sonderputzkommando und musste schwere
öffentliche Schelte einstecken. In Berlin soll es für den Nahverkehr
einen
Billigtarif namens "Power Pricing" geben, den der Kunde wohl nur
begreift, wenn er sich im Shop der Berliner Verkehrsbetriebe "BVG
Underwear" kauft. Im Himmel über Berlin schweben nicht
nur Wim Wenders' Engel,
die schöne neue Welt geflügelter Träume hat mitten im Herzen der
Metropole auch
einen irdischen Landeplatz. Das neue Bundeskanzleramt verfügt at the
top über
eine großzügig verglaste Treppenhausfläche für Empfänge mit einem
englischengelhaften Namen: "Sky Lobby". Klar, dass dort die CDU nicht
abseits stehen will. Wenn schon das Parteiquartier der Berliner Union
über
keinen himmlischen Ausblick verfügt, so will es beim Strunzen mit
pompösen
Namen mithalten: Frank Steffel, frisch gekürter Spitzenkandidat der
MetropolenUnion, ließ sich unlängst vor einer Wahlkampftafel mit der
Aufschrift
"Powerpoint" fotografieren. Dagegen nehmen sich andere
Eindeutschungsversuche eher
peinlich aus. Schon Goethe und Schiller verspotteten ihren Zeitgenossen
und
Sprachforscher Joachim Heinrich Campe. Der hatte es zwar geschafft,
Fraternité,
das große Schlagwort der Französischen Revolution, durchschlagkräftig
mit
Brüderlichkeit zu übersetzen, aber die Damen blieben beim Parfümieren
und
wollten sich nicht von Campe "durchduften" lassen. Die Mumie wurde,
eigentlich schade, keine "Dörrleiche" und das Insekt kein
"Kerbtier". Ob der Airbag als "Prallkissen" die
deutsche Zunge
munterer macht? Was würde wohl eine Teenagerin denken, wenn sie einer
"U20-Mädel" nennen würde? Es wäre bizarr, wenn plötzlich
"Hochtongüte" für HiFi stünde, "Tragling" für Baby,
"Schienenstürmer" für InterCity-Express und "Fruchtbräu"
für Bowle. Kein Gesetz und kein teutonischer
Übersetzungsingrimm werden
etwas dagegen ausrichten, dass sich das Deutsche mit dem Denglischen
arrangieren muss. Viel Unsinniges und Verbrauchtes wird die Sprache
ohnehin von
allein verlassen. Die größten Gefahren für das Deutsche, aber nicht nur
für es
allein, bestehen ohnehin im Verlust des Ausdrucksreichtums, weil
Wortplomben
Bedeutungen aufsaugen. Was steckt nicht alles hinter "cool": Kühle,
Gelassenheit, Lässigkeit, ein mentaler Widerstand gegen die gerade auf
Jugendliche einprasselnden Einordnungsangebote von Medien und Werbung.
Aber
"cool" wirkt nicht als sprachlicher Staubsauger, weil das Wort
englisch ist. "Geil" und "irgendwie spannend" sind
ebensolche sprachlichen Überdeckungsgewächse. Ein nett lautmalerisches Wort wie
"chatten" für
das Plaudern im Internet engt die deutsche Beweglichkeit ein: Ich
chatte ist
möglich, aber wohl kaum: die Zeit verchatten oder jemandem etwas
nachchatten,
was mit dem deutschen Plaudern und Plappern gelingt. Bewusstsein gegenüber, das über die
Güte, den Sinn und die
Brauchbarkeit für die eigene Identität entscheiden kann. Gefragt ist
deshalb
eine Sprache der Selbstbeobachtung, die ein Gespür dafür entwickelt,
was bei
den vielen Antworten aus dem Computer gerade nicht beantwortet wird. Es
geht um
eine Redeweise, die hinter die Wortungetüme blickt, die einem die
Medien an den
Kopf werfen. Besonders erfolgreich im Kampf gegen
sprachliche
Überwältigung ist die jugendliche Rap- und HipHop- Szene. Erfunden von
den
schwarzen Ghettobewohnern in den USA, breitete sich der Sprechgesang
überall in
der Welt auf Englisch aus. Doch dann kam 1992 die Stuttgarter
Rap-Formation
"Die Fantastischen Vier" und machte mit ihrem Hit "Die
da!?!" den Teutonen-Rap salonfähig. Seitdem rappt es deutsch. Wenn die
Becker- Ex- Freundin Sabrina Setlur singt, dann holpert die Sprache
Luthers:
"Aber wie blickt 'ne Alte den Dreck
wenn se verliebt is' / das gibt es und das is' dein Glück, aber du
versiebst es."
Aber bei anderen Rappern wie Smudo alias Michael Bernd Schmidt oder dem
Bremer
Bastian Böttcher gerät die Kritik ins Schwärmen. So urteilte die
"Zeit" über den Deutsch-Rap, die deutsche Sprache habe endlich zu
ihrer Musik gefunden. |