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DER SPIEGEL vom 16.7.2001, Nr. 29

Welcome in Blabylon

Alberne Anglizismen überspülen das Deutsche und erzeugen einen Mischmasch namens Denglisch. Für die einen ist das ein Zeichen neuer Weltoffenheit, andere wollen sogar mit einem Abwehrgesetz die Muttersprache retten. Globalisierung und Internet fordern wie nie zuvor die Sprache heraus.

Erst geht die alte Fußballherrlichkeit zu Grunde, dann wird die D-Mark verschwinden, und nun, armes Deutschland, auch das noch: "Fuck deutsche Sprache". Das, Pardon, Grafficko, stand bis vor kurzem (Entfernungskosten: 16 000 Mark) an der Wand des Berliner  Otto-Suhr- Instituts (OSI). Die Sprache des Faust, des Knaben Wunderhorn und des Lieds vom Brunnen vor dem Tore ist zum Ziel  vulgärer Beschimpfung geworden, eine neue Eskalationsstufe ist  damit erreicht. Es geht nicht mehr nur um die seit Jahren geführte Diskussion, ob Deutsch angesichts immer neuer Wellen von Anglizismen noch eine Zukunft hat. Der Disput gewinnt ideologisch an Schärfe und droht aus den heiligen Hallen von Akademien und wissenschaftlichen Zirkeln auszubrechen.

 Die jetzigen Vorgänge am Berliner OSI erinnern von außen an 68erZeiten, in denen die Dahlemer Politologenausbildungsstätte zum Ausgangpunkt für die Revolte in Deutschland geworden war: Mit Flugblättern, Boykottaufrufen und gesprühten Parolen störte im nun zu Ende gehenden Sommersemester ein kleiner Trupp von Studenten das Blockseminar von Professor Fritz Vilmar, 71, Emeritus der Freien Universität. Die letzte Veranstaltung musste nach Lankwitz ausweichen.

Vilmars Veranstaltung hatte das Thema: "Die Amerikanisierung der deutschen Sprache als politisches Problem". Ein eher als links einzuschätzendes "Bündnis kritischer Studenten" witterte "impliziten Antiamerikanismus". Dabei ist Vilmar alles andere als ein Rechter. Von 1900 bis 1970 arbeitete er als Bildungsreferent der IG Metall unter Hans Matthöfer, verfocht die 35-Stunden-Woche und gab noch 1995 ein kritisches Buch über die "Kolonialisierung der DDR" heraus. Nun setzt Vilmar angesichts der "sich zuspitzenden deutschen Sprachmisere" auf "aktiven Sprachschutz". Dass sich da, wie der Dozent Martin Jander dem Professor Vilmar vorhielt, "linke und rechte Zivilisationskritik auf eigentümliche Weise" paarten, findet der Beschuldigte unerhört: "Kein Jota davon ist wahr."

 As time goes by, darf man vielleicht noch schnell vor Inkrafttreten des Sprachschutzes auf gut Denglisch feststellen: Liefen die 68er-Studenten gegen den amerikanischen Kulturimperialismus Sturm, sehen ihn die heutigen Kommilitonen als Bollwerk gegen "Deutschtümelei" und "völkisch- nationalistische Normalisierung". Und Fuck deutsche Sprache" - wenn das Marx und Engels wüssten, die alle Hauptwerke des wissenschaftlichen Sozialismus auf Deutsch abfassten. They must be turning in their graves.

 Die tumultösen Geschehnisse an der FU spiegeln die zunehmende Gereiztheit beim Thema sprachliche Überfremdung. Noch vor Jahren war auf diesem Feld mit Humor gestritten worden. In guter Erinnerung ist der Komiker Otto Waalkes. Der juxte mit Nonsense-Übersetzungen: "Love is in the air" hieß ottonisch "Luft ist in den Eiern", und "I am hungry" übersetzte der Friesenschalk: "Ich bin Ungar". Die unübersehbare Notwendigkeit, sich mit der Weltsprache Englisch auseinander zu setzen, konnte die provinzielle deutsche Fröhlichkeit noch nicht erschüttern.

Solche Gelassenheit änderte sich mit dem Aufkommen von Internet, E-Commerce, New Economy und wie die sprachlichen Heimsuchungen noch hießen. Mit einem Schlag war die Welt voller Propheten, die Tempo predigten, die Auflösung traditioneller Strukturen verkündeten und die globale Vernetzung von allem mit allem priesen. Die Sprache der Besessenen war Denglisch, und der Mund ging ihnen über. Es "beamte" und "switchte", es ging um kreative "Power" und das Bestreben, das Beste noch zu "toppen". Was bloß normal war, wurde "gehypt", bis es "hip" wurde und irgendwie "kickte". Bloß keine Downer", Vorsicht vor dem "Bashing" durch Miesmacher, "in Charge" sein hieß ranpowern bis zum "Burnout". Die Egos bekamen neue Kleider, managten sich selbst, "stylten" sich neu, um ja mit guter "Performance" aufzufallen. Die "E-Lancer", immer cool drauf, hatten Spaß, besser noch "Fun", oder, wenn es die "Gender Studies" erlaubten und man einander beim "Get together" näher gekommen war, good old Sex. Gern wurde jede schnieke Behausung zum "Loft" upgegradet, darinnen sich "relaxen" ließ, auf dass sich "Wellness" und "Fitness" mehrten.

 Klönen und Schwatzen war nicht, die "Time is Money"-Ideologie wertete jedes Beisammensein zum "Brainstorming-Meeting" auf, am besten in einer passenden "Location". Die flotten Jungs und Mädchen um die "Startup"-Unternehmungen und ihr verbales Getöse schienen die alte Welt zu verflüssigen. Was fest war, wurde zu Datenströmen weichgeredet, die Probleme verschwanden durch Verknüpfung.

So bekam die schweißig-mühselige Welt der Arbeit eine unheimliche Leichtigkeit, wenn man sie aus der Perspektive der "Global Player" und des "Shareholder- Value" durchrechnete: Da ließ sich mit ein paar Mausklicks "outsourcen", "leaner" produzieren. Zur Zeit ward schnell der Raum, das Denglisch lieferte die Sprache: "Just in time", die rollende Lagerhaltung, "machte Sinn". Der schöne Sound übertönte so hässliche Wörter wie Stau und Verkehrsinfarkt. Alles "surfte", war "in Motion", "groovte" mit im "Drive" einer von "Analysten" als herrlich bewerteten Zukunft.

 Doch die Party war dann verdammt schnell over. Hässliche, sehr deutsch klingende Wörter wie "Gewinnwarnung", "zerplatzende Seifenblase" und "Überbewertung" besiegelten den Niedergang. Die Euphorie verschwand, ihre sprachlichen Spuren blieben. Wie ausgeglühte Wracks stehen die mit der New Economy hineingerauschten Anglizismen nun in der deutschen Sprache herum.

Manche Adepten des Neusprechs wollen von den schönen neuen Wörtern immer noch nicht lassen. Der Verband der deutschen Internet-Wirtschaft organisiert in Berlin "Pink-Slip-Partys". Da läuft man nicht etwa in rosa Unterhosen herum. Der Name leitet sich von den rosafarbenen Briefen ab, mit denen US-Firmen kündigen - selbst in der Krise halten die Ritter der New Economy die Flagge des Denglisch hoch.

 Am ärgerlichsten sind die Ausdrücke, die den Bombast, den Zwangsoptimismus und die Gespreiztheit der in die Krise geratenen flotten Zeiten unironisch zur Schau tragen. Eine der ärgerlichsten Wortleichen ist der "Event". Jede Provinzparty mit ein paar Promis und Frauen im Sylter Eisenten-Look bläst sich zum "Event" auf. Fernsehstücke, die ins Quotenloch zu fallen drohen, werden zu "Event"-Programmen hochgemotzt. Vorreiter waren hierfür die "drei Tenöre": Wenn Placido Domingo die Goldkehle öffnete und kassierte, klar: ein "Event", mit der Dreingabe des gewichtigen Kollegen Luciano Pavarotti: ein "Mega-Event". Ausgerechnet die Kultur scheint noch immer vom Virus krampfhafter Weltumfassung infiziert und faselt gern im hohen Ton der Netzpropheten. Der Rundfunksender Klassik Radio schwadroniert denglisch von "First Class Music", "Planet Classic" und "City Klassik", als müsste man Beethoven in den ICE bitten. Sendereigene Eindeutschungen fallen allerdings noch peinlicher aus: "Kuschelklassik" - seid umschlungen, Bettvorleger.

Wie immer scheint der öffentliche Sektor noch nicht bemerkt zu haben, dass Denglisch nervt. Die Hamburger Müllabfuhr kreierte "Waste Watcher"als Namen für ein Sonderputzkommando und musste schwere öffentliche Schelte einstecken. In Berlin soll es für den Nahverkehr einen Billigtarif namens "Power Pricing" geben, den der Kunde wohl nur begreift, wenn er sich im Shop der Berliner Verkehrsbetriebe "BVG Underwear" kauft.

Im Himmel über Berlin schweben nicht nur Wim Wenders' Engel, die schöne neue Welt geflügelter Träume hat mitten im Herzen der Metropole auch einen irdischen Landeplatz. Das neue Bundeskanzleramt verfügt at the top über eine großzügig verglaste Treppenhausfläche für Empfänge mit einem englischengelhaften Namen: "Sky Lobby". Klar, dass dort die CDU nicht abseits stehen will. Wenn schon das Parteiquartier der Berliner Union über keinen himmlischen Ausblick verfügt, so will es beim Strunzen mit pompösen Namen mithalten: Frank Steffel, frisch gekürter Spitzenkandidat der MetropolenUnion, ließ sich unlängst vor einer Wahlkampftafel mit der Aufschrift "Powerpoint" fotografieren.

 Solch frischwärts ungebrochene Begeisterung für die Werbewirksamkeit des Denglischen teilen allerdings nicht alle Politiker. Quer durch die Parteien bildet sich eine Koalition der um die deutsche Sprache Besorgten. FDP-Mann Wolfgang Gerhardt erkannte: "Die Flut von Anglizismen, die aus den Medien, aus der Werbung, aus Produktbeschreibungen und aus dem technikgestützten Paralleluniversum auf uns niedergeht, ist eine Gewalt, die nicht vom Volke ausgeht. Sie wird ihm aufgepfropft." Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) spricht von "Sprachverhunzung", Antje Vollmer von den Grünen meint: "Schrille, modische und expertenlastige Anglizismen schließen ohne Not viele Menschen von der Verständigung aus." Bundespräsident Johannes Rau hält den "inflationären Gebrauch von Amerikanismen in der Werbung und in den Medien" für "albern" und "dumm".

 Allerdings gehen nur wenige Politiker so weit wie der frühere Berliner Innensenator Eckart Werthebach, der ein "Sprachschutzgesetz" mit der Verpflichtung fordert, englische Ausdrücke einzudeutschen. Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin ist strikt dagegen. Die Welt brauche eine "Lingua Franca", das Englische. Da könne sich der Staat nicht mit einer Sprachpolizei einmischen. Wer gegen die Vorherrschaft des Englischen opponiere, behindere den globalen Austausch. Ein Blick nach Frankreich verstärkt die Skepsis gegen Gesetze zur Reinhaltung der Sprache. Seit 1994 steht dort der unnötige Gebrauch von Fremdwörtern unter Strafe, die ehrwürdige Académie française wacht offiziell über die Sauberkeit der Sprache Racines und Balzacs. Wer in der Werbung oder amtlichen Verlautbarungen Fremdwörter benutzt, für die eine adäquate Übersetzung existiert, dem drohen Geldstrafen. Und das Land ist unermüdlich im Erfinden von Übertragungen: Der Walkman wurde "baladeur" getauft, der "Hamburger" zum "saucipain" und der Computer zum „ordinateur".

 Die Erfahrungen hier zu Lande mit Eindeutschungen sind unterschiedlich. Der von der Idee der Aufklärung getragene Widerstand gegen das bei Hofe übliche Parlieren auf Französisch, gegen die Geschwollenheit der Amtssprache des 17. und 18. Jahrhunderts gehört zu den positiven Beispielen sprachlicher Erneuerung. Auch wie der preußische Geist die Bahn deutsch bedampfte, war ein Erfolg: Perron, Billett und Coupé mussten abfahren, Bahnsteig, Fahrkarte und Abteil rollten ein und beglücken den deutschen Bahnreisenden noch heute eine deutsche Klarheit, die schmerzlich vermisst, wer schon mal an einem „Informationscenter" vergeblich nach Fahrkarten angestanden hat.

Dagegen nehmen sich andere Eindeutschungsversuche eher peinlich aus. Schon Goethe und Schiller verspotteten ihren Zeitgenossen und Sprachforscher Joachim Heinrich Campe. Der hatte es zwar geschafft, Fraternité, das große Schlagwort der Französischen Revolution, durchschlagkräftig mit Brüderlichkeit zu übersetzen, aber die Damen blieben beim Parfümieren und wollten sich nicht von Campe "durchduften" lassen. Die Mumie wurde, eigentlich schade, keine "Dörrleiche" und das Insekt kein "Kerbtier".

Ob der Airbag als "Prallkissen" die deutsche Zunge munterer macht? Was würde wohl eine Teenagerin denken, wenn sie einer "U20-Mädel" nennen würde? Es wäre bizarr, wenn plötzlich "Hochtongüte" für HiFi stünde, "Tragling" für Baby, "Schienenstürmer" für InterCity-Express und "Fruchtbräu" für Bowle.

Kein Gesetz und kein teutonischer Übersetzungsingrimm werden etwas dagegen ausrichten, dass sich das Deutsche mit dem Denglischen arrangieren muss. Viel Unsinniges und Verbrauchtes wird die Sprache ohnehin von allein verlassen. Die größten Gefahren für das Deutsche, aber nicht nur für es allein, bestehen ohnehin im Verlust des Ausdrucksreichtums, weil Wortplomben Bedeutungen aufsaugen. Was steckt nicht alles hinter "cool": Kühle, Gelassenheit, Lässigkeit, ein mentaler Widerstand gegen die gerade auf Jugendliche einprasselnden Einordnungsangebote von Medien und Werbung. Aber "cool" wirkt nicht als sprachlicher Staubsauger, weil das Wort englisch ist. "Geil" und "irgendwie spannend" sind ebensolche sprachlichen Überdeckungsgewächse.

 Schwer trifft die Sprache der zunehmende Verlust an Geschmeidigkeit, an dem allerdings die Anglizismen stark beteiligt sind. Der oder das "Event" steht wie ein unverrückbares Möbel vor der deutschen Zunge: Ich kann nicht eventen. Also müssen hässliche blasse Verben wie "veranstalten" oder gar das Unmenschenwort "durchführen" her, um das Möbel zu rücken.

Ein nett lautmalerisches Wort wie "chatten" für das Plaudern im Internet engt die deutsche Beweglichkeit ein: Ich chatte ist möglich, aber wohl kaum: die Zeit verchatten oder jemandem etwas nachchatten, was mit dem deutschen Plaudern und Plappern gelingt.

 Kritiker sehen große Herausforderungen an die Kommunikation durch die Benutzung der Computer entstehen. Der Luhmann- Schüler Dirk Baecker, Professor an der Universität Witten/ Herdecke spricht im neuen "Merkur" von Katastrophe: Das Benutzen des Rechners fasziniert und schafft Sinnüberschüsse, die zu bewältigen die Psyche des Benutzers und die sozialen Systeme  Schwierigkeiten haben. Dem Bombardement mit Daten steht kein

Bewusstsein gegenüber, das über die Güte, den Sinn und die Brauchbarkeit für die eigene Identität entscheiden kann. Gefragt ist deshalb eine Sprache der Selbstbeobachtung, die ein Gespür dafür entwickelt, was bei den vielen Antworten aus dem Computer gerade nicht beantwortet wird. Es geht um eine Redeweise, die hinter die Wortungetüme blickt, die einem die Medien an den Kopf werfen.

Besonders erfolgreich im Kampf gegen sprachliche Überwältigung ist die jugendliche Rap- und HipHop- Szene. Erfunden von den schwarzen Ghettobewohnern in den USA, breitete sich der Sprechgesang überall in der Welt auf Englisch aus. Doch dann kam 1992 die Stuttgarter Rap-Formation "Die Fantastischen Vier" und machte mit ihrem Hit "Die da!?!" den Teutonen-Rap salonfähig. Seitdem rappt es deutsch. Wenn die Becker- Ex- Freundin Sabrina Setlur singt, dann holpert die Sprache Luthers: "Aber wie blickt 'ne Alte den Dreck wenn se verliebt is' / das gibt es und das is' dein Glück, aber du versiebst es." Aber bei anderen Rappern wie Smudo alias Michael Bernd Schmidt oder dem Bremer Bastian Böttcher gerät die Kritik ins Schwärmen. So urteilte die "Zeit" über den Deutsch-Rap, die deutsche Sprache habe endlich zu ihrer Musik gefunden.

 Welcome in Blabylon galt schon Mitte der neunziger Jahre, als die Modeschöpferin Jil Sander also sprach: "Für meinen Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, dass man viele Teile einer collection miteinander combinen kann." Sander erhielt für solches Kauderwelsch von Sprachschützern einen kritisch gemeinten Preis. Was der Rapper Böttcher dichtet, klingt ähnlich blabylonisch. "Ich der rastlose Wandrer chat im Net / check die Netiquette / hack was aus, browse weiter in die Usenet News-groups/ Cruis' durch F.A.Q's von Jesus, Jusos, Usergroups." Das ist der volle Wahnsinn, besitzt aber einen Vorteil gegenüber Sander: die Ironie.

 NICOLE ALEXANDER, NIKOLAUS VON FESTENBERG


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